Karlsruhe stoppt Steinmeier : Befehl statt Bitte
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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Bild: dpa
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundespräsidenten förmlich untersagt, das Zustimmungsgesetz zum Corona-Wiederaufbaufonds zu unterzeichnen. Üblicherweise werden solche Fälle in informeller Absprache geregelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Eilentscheidung angewiesen, das deutsche Beitrittsgesetz zum europäischen Corona-Wiederaufbaufonds vorerst nicht zu unterzeichnen. Der Bundestag hatte der deutschen Beteiligung an dem 750 Milliarden Euro umfassenden Hilfsprogramm am Donnerstag zugestimmt; am Freitag folgte sodann die Zustimmung des Bundesrates.
Zu den Kritikern des Wiederaufbaufonds zählt unter anderem der AfD-Gründer Bernd Lucke, dessen „Bündnis Bürgerwille“ bereits Anfang der Woche angekündigt hatte, gegen die deutsche Beteiligung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen. Die Kritiker befürchten, dass finanzschwache Mitgliedstaaten nicht in der Lage sein werden, ihren Anteil an dem Schuldenpaket zurückzuzahlen, sodass zahlungskräftige Länder ihre Verpflichtungen gegenüber den Kreditgebern würden übernehmen müssen.
Unkalkulierbare finanzielle Belastungen?
Dadurch könnten auf Deutschland finanzielle Verpflichtungen zukommen, deren Höhe zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar, potentiell aber astronomisch sei. So werde der Weg in die „Schuldenunion“ geebnet, bei der die einen für die Wirtschaftskrisen der anderen hafteten – zumal absehbar sei, dass es bei der einmaligen Kreditaufnahme in der Pandemie nicht bleiben werde. Das Bundesverfassungsgericht solle deshalb einschreiten, noch bevor Bundespräsident Steinmeier das „Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz“ unterschreibe. Andernfalls würde Deutschland Verpflichtungen eingehen, aus denen es sich selbst bei einer späteren stattgebenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts womöglich nicht mehr werde lösen können.
Jedenfalls diesem letzten Argument sind die Karlsruher Richter nun offenbar gefolgt. In einem sogenannten Hängebeschluss haben sie dem Bundespräsidenten untersagt, das Gesetz zu unterzeichnen. Eine nähere Begründung enthält der Beschluss noch nicht; diese soll nachgereicht werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sich das Bundesverfassungsgericht darin jedoch nicht zur eigentlichen Zulässigkeit des Wiederaufbaufonds äußern, sondern lediglich darauf hinweisen, dass man für die weitere Prüfung habe Zeit gewinnen wollen, bevor durch eine Unterzeichnung Tatsachen geschaffen würden.
Hat Steinmeier eine Stillhaltezusage abgelehnt?
Der Vorgang ist dennoch ungewöhnlich, denn eigentlich entspricht es dem politischen Komment, dass das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten in solchen Konstellationen informell auf die laufende Prüfung hinweist und ihn bittet, mit seiner Unterschrift bis zu einer Entscheidung zu warten, statt ihm dies durch einen förmlichen Beschluss zu untersagen. Ob es eine solche informelle Anfrage in diesem Fall gegeben hat, und, falls ja, wie sie beschieden wurde, wollte das Bundesverfassungsgericht auf Anfrage der F.A.Z. nicht mitteilen und verwies auf das Bundespräsidialamt.
Von dort hieß es auf Anfrage der F.A.Z., ein entsprechendes Ersuchen sei „telefonisch auf Arbeitsebene“ eingegangen. Zu den Einzelheiten des Gesprächs könne man sich nicht äußern, das Ersuchen des Verfassungsgerichts sei aber jedenfalls nicht abgelehnt worden; über den Beschluss von Freitagnachmittag sei man „überrascht“ gewesen. Womöglich liegt dem ungewöhnlichen Vorgang also ein Scheitern in der Kommunikation zugrunde, denn Fragen dieser Tragweite werden üblicherweise nicht auf der Arbeitsebene besprochen – eine unmissverständliche Zusage dürfte es aus dem Präsidialamt jedenfalls nicht gegeben haben, da für den Beschluss dann kein Anlass bestanden hätte.
Kampfeslustiges Verfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits in der Vergangenheit kreativ und kampfeslustig gezeigt, wenn es darum ging, der schleichenden Kompetenzausweitung der europäischen Union zulasten der deutschen Staatsgewalt entgegenzutreten – so zuletzt in seinem Urteil zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank vom vergangenen Mai, das einem Erdbeben im Machtgefüge zwischen Karlsruhe, Berlin, Brüssel und Luxemburg gleichkam.
Eine der Hürden, welche die Karlsruher Richter dabei eingezogen haben, ist das sogenannte Budgetrecht und die „haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ des Bundestages, also das Recht der gewählten Volksvertreter, über die Verwendung von Steuergeldern und Staatsfinanzen zu bestimmen.
Dass die Übernahme von Zahlungspflichten, deren Eintritt und Höhe sich der Kontrolle Deutschlands entziehen, diesem Verfassungsprinzip entgegenstehen kann, hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht. Ob diese Grenze mit dem Corona-Wiederaufbaufonds überschritten ist, wird jedoch noch von zahlreichen rechtlichen Detailfragen abhängen.
Wann eine Sachentscheidung im Eilverfahren ergehen wird, kann das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht mitteilen. Da der Fall einerseits rechtlich komplex und politisch aufgeladen, andererseits aber auch in hohem Maße eilbedürftig ist, dürfte eine Zeitspanne von einigen Wochen, vielleicht auch wenigen Monaten realistisch sein. Mindestens bis dahin wird sich auch das Inkrafttreten des Wiederaufbaufonds verzögern.