Flucht aus Syrien : Assads langer Arm
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Bange Blicke auf die Heimat: Ein syrischer Flüchtling in Ramtha Bild: REUTERS
Mehr als 70.000 Syrer sind schon über die Grenze nach Jordanien geflohen. Sie haben böse Erinnerungen im Gepäck - und Angst vor der Rache des Regimes.
Von der Dachterrasse aus versperrt nur ein grüner Höhenzug den Blick. Gleich dahinter liegt Daraa. Mit dem Auto sind es aus Ramtha nur wenige Minuten bis n die syrische Grenzstadt, in der vor knapp einem Jahr der Aufstand gegen Präsident Assad begann. Doch für Abu Muhammad liegt sein Heimatort in unerreichbarer Ferne. Der stämmige Syrer schaffte es gerade noch rechtzeitig nach Jordanien.
Der syrische Geheimdienst hat schon zwei Familienmitglieder verhaftet und ist hinter anderen her, die auch gegen die Regierung demonstrierten. „Wenn die Agenten die Gesuchten nicht finden, nehmen sie einfach Verwandte in Sippenhaft. Du weißt nie, wann sie kommen und Dich holen“, sagt der Familienvater.
Abu Muhammad will weder seinen richtigen Namen nennen, noch seinen Beruf in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst, dass sich die syrischen Sicherheitskräfte an den Angehörigen rächen könnten, die noch in Syrien sind. Und nicht nur die wollen weg. „Wenn die Grenze zu Jordanien offen wäre, würde ganz Daraa hierher fliehen. Wahrscheinlich wäre dann ganz Syrien leer“, glaubt Abu Muhammad. In zwei Zimmern einer zugigen Dachwohnung haben er und 16 Verwandte Unterschlupf gefunden. Rund um einen kleinen Gasofen haben sie neben ihren Koffern dünne Schaumstoffmatratzen ausgebreitet; andere Möbel gibt es nicht. Wenige Tage zuvor hat es noch geschneit.
Schmuggler machten gute Geschäfte
Am Ortsrand von Ramtha liegt einer der beiden jordanischen Grenzübergänge nach Syrien. Beide Städte sind fast zusammengewachsen. Viele Familien sind auf beiden Seiten der Grenze zuhause. Der kleine Grenzverkehr brachte Ramtha bis vor kurzem bescheidenen Wohlstand: Schmuggler machten mit Zigaretten, Gemüse und Kosmetikartikeln gute Geschäfte, die in Syrien billiger sind als in Jordanien. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Nachbarland kommen nur immer weniger „Baharas“ über die Grenze. „Segler“ nennt man in Ramtha die syrischen Taxifahrer, die ihre klapprigen Autos bis unters Dach vollpacken und nach Jordanien fahren. Sie sind die Letzten, die die syrischen Grenzer noch für eine Stunde ins Nachbarland lassen. Die anderen Syrer dürfen seit gut einer Woche die Grenze nach Jordanien nicht mehr überqueren.
„Die Regierung in Damaskus will nicht, dass sie von den Grausamkeiten erzählen, die in Syrien passieren“, vermutet Abdelhalim al Zobi. Der Journalist aus Ramtha berichtete selbst aus Daraa, bis er in letzter Minute seiner eigenen Verhaftung durch Iraner entkam: Die Männer, die ihn festnahmen, hätten kein Wort Arabisch gesprochen, erinnert er sich. Er bestätigt damit Berichte, nach denen das Regime in Teheran seinem arabischen Verbündeten Assad in großem Stil mit Geheimdienstlern zur Hilfe kommt.
Auch wenn die Taxis in diesen Tagen keine syrischen Fahrgäste mehr über die Grenze befördern, und auf den Sitzen nur noch Äpfel, Orangen und Gläser mit Tomatenmark transportieren, hat der Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Jordanien in den vergangenen Wochen zugenommen. Vor allem junge Männer schleichen sich nachts nach Jordanien. Immer wieder schießen syrische Soldaten auf die Flüchtenden. Doch die Armee kann die kaum befestigte Grenze nicht vollständig zu überwachen. Mittlerweile kommen nicht mehr nur Syrer aus Daraa, sondern auch aus weiter entfernten Städten, wie dem umkämpften Homs, nach Jordanien. Angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen nahm am Donnerstag die Regierung in Amman zum ersten Mal in diesem Jahr offiziell Stellung: Seit Beginn der Unruhen seien 73.000 Syrer nach Jordanien gekommen, teilte Informationsminister Rakan Madschali mit. Zwischen der syrischen Grenze und Mafraq wird gerade ein erstes Flüchtlingslager errichtet. Zwei weitere sind in Planung; eines davon bei Ramtha.
Die meisten Syrer verzichten darauf, sich offiziell registrieren zu lassen. Sie fürchteten, dass die syrische Regierung von ihrer Flucht erfährt und ihre Verwandten bestraft. So haben sich beim UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR bisher nur 3800 Syrer gemeldet. Aber auch die UN-Mitarbeiter beobachten eine deutliche Zunahme: In den vergangenen vier Wochen waren es 800 Neuzugänge, so viele wie noch nie zuvor. Wie Abu Muhammad ziehen es die meisten Syrer vor, bei Verwandten unterzukommen oder sich ein paar Zimmer zu mieten. In Ramtha und in der benachbarten Provinzhauptstadt Mafraq werden deshalb schon die Wohnungen knapp. Dabei müssen Familien wie die von Abu Muhammad viel Geld für wenig Wohnraum zahlen. Zusammen mit seinen 15 Verwandten lebt er auf weniger als 30 Quadratmetern. Alle zusammen müssen sie sich eine Toilette teilen. Am Abend zuvor hatten in dem Haus zwei neue Familien aus Daraa angeklopft und verzweifelt gefragt, ob noch Platz für sie sei. Sie mussten weiterziehen.