Hessische Polizei : Expertenkommission fordert „Neubeginn“
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Hessens Innenministr Peter Beuth (CDU) Bild: Marcus Kaufhold
Nach einer Reihe rechtsextremistischer Vorfälle bei der hessischen Polizei setzte Innenminister Beuth eine Expertenkommission ein. Diese nennt nun „strukturelle Probleme“ – und fordert grundlegende Reformen.
Die Bedeutung, die jeder Fall von Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland hat, rief Jerzy Montag in Erinnerung. Der Rechtsanwalt und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen ist Stellvertretender Vorsitzender einer Expertenkommission, die Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vergangenen August eingesetzt hat. Beuth reagierte damit auf eine ganze Reihe von Skandalen in der hessischen Polizei. Die Kommission sollte deren Umgang mit Fehlern untersuchen und ein neues Leitbild erarbeiten. Nun stellte sie im hessischen Innenministerium ihren Abschlussbericht vor.
Montag würdigte zunächst die am Wochenende verstorbene Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. Dann zitierte er Thomas Haldenwang. Vor eineinhalb Jahren hatte der Präsident des Verfassungsschutzes auf dem Europäischen Polizeikongress des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gedacht. „Im kollektiven Gedächtnis der Menschheit steht Auschwitz für den nie gekannten Abgrund, in den sich das deutsche Volk unter der nationalsozialistischen Diktatur stürzte – und Millionen unschuldige Opfer mit sich riss“, sagte Haldenwang damals. Er erwähne diese Erklärung, so Montag, weil sie in „engstem Zusammenhang“ mit der Arbeit der Kommission stehe. Das zeigten allein die rechtsextremen Chats, auf die die hessische Polizei 2018 stieß und mit denen sich die Kommission auseinanderzusetzen hatte.
Montag schilderte, wie man sie kategorisieren könne: Es sei um die Herabwürdigung Behinderter und Menschen mit dunkler Hautfarbe gegangen und um die Verherrlichungen des Nationalsozialismus. Der Tod von Menschen auf der Flucht sei herbeigesehnt worden, ebenso habe sich ein „eliminatorischer Frauenhass“ mitgeteilt. „Rohe und gehässige“ Kommunikation hätten sie vor sich gehabt, „völlig empathielos“ gegenüber dem Leid anderer Menschen. Man könne sich davon kaum ein Bild machen, so Montag, der einige Beispiele konkret machte.
Zu den ausgetauschten Bildern gehörte ein Foto des Vernichtungslagers Auschwitz, darüber die Worte: „Dies ist eine Judenherberge“. Auf einem anderen Bild war ein lachender Adolf Hitler zu sehen, der auf einen rauchenden Kamin zeigt. Darüber: „Da geht eine jüdische Familie dahin“. Unter dem Bild von einem Häufchen Asche hatten Polizisten geschrieben: „Ein kleines jüdisches Mädchen“, dazu sexuelle Gewaltfantasien. Ein Bild des ertrunkenen Alan Kurdi wurde mit einem Rüden versehen, der den zwei Jahre alten Flüchtlingsjungen besteigt. Bis zu 136 Beamte waren an der Kommunikation beteiligt; gegen etwa 100 von ihnen wurde ermittelt. „Keinen einzigen Beleg“ habe es dafür gegeben, dass irgendjemand Widerspruch erhoben habe, so Montag.
Nur „aufgebauschte“ Vorwürfe?
Er plädierte dafür, „Ross und Reiter“ zu benennen. Auch die Inhalte der Chats müssten bekannt gemacht werden. „Wir sind der festen Überzeugung, dass sich die allerallermeisten Polizisten mit Ekel davon abwenden würden, wenn sie wüssten, worum es gegangen ist.“ In Gesprächen mit Polizisten sei den Kommissionsmitgliedern regelmäßig Skepsis begegnet. Viele wüssten nicht, worum es gehe und hielten die Vorwürfe für „aufgebauscht“. Dem Vernehmen nach waren die Inhalte der Chats allerdings weitläufig bekannt – sowohl auf Ebene der Leitung als auch an der Basis.
Die Chats waren nur ein Komplex, mit dem sich die Kommission in den vergangenen Monaten beschäftigt hat. Schon als Beuth das unabhängige Gremium beauftragte, war die Liste der Skandale lang. Chats im mittlerweile aufgelösten Spezialeinsatzkommando kamen kürzlich noch hinzu. Den Anfang der rechtsextremistischen Vorfälle machten die seit 2018 im Namen des „NSU 2.0“ verschickten Drohschreiben, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu unerlaubten Abfragen persönlicher Daten in Polizeicomputern standen. Vor zwei Monaten wurde ein Verdächtiger festgenommen, der nicht aus den Reihen der Sicherheitsbehörde stammt. Wie er an die Daten kam, ist nach wie vor ungewiss.
„Es gibt noch viel zu tun“
Angelika Nußberger, die Vorsitzende der Kommission und ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, bilanzierte: „Keiner der Komplexe ist abschließend geklärt. Es gibt noch viel zu tun.“
Zu den „strukturellen Problemen“, die anzugehen seien, zählt die Kommission mangelnde Fehlerkultur und fehlendes Verständnis für die Opferseite sowie eine „inadäquate“ und „intransparente“ Kommunikation, die vor allem auf „Abwehr“ gesetzt habe. Um den Staat und seine Organisationen zu schützen, sei es nötig, einen Extremismusbeauftragten einzusetzen. Auch eine unabhängige Kontrolle polizeilichen Fehlverhaltens müsse etabliert werden. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus, im Auswahlverfahren bei den Verfassungsschutzbehörden abzufragen, ob ein Bewerber schon einmal als Extremist aufgefallen ist. Innenminister Beuth hat sich dazu Anfang Juli bereit erklärt.
Forderungen nach einem Neubeginn
Anwalt Montag schlug auch Änderungen des Disziplinarrechts vor. Einerseits brauche es Verschärfungen bei rechtsextremistischen Vorfällen. Andererseits seien Erleichterungen für Beamte nötig, die sich reuig an Aufklärung beteiligen wollten und sich damit selbst der Gefahr von Ermittlungen aussetzten.
Nußberger sprach in Wiesbaden von einem „kritischen Moment“ für Hessens Polizei. Um den negativen Erfahrungen „nun wirklich etwas Positives“ entgegenzusetzen und eine Vorreiterrolle zu übernehmen, seien nicht nur Reformen nötig. Diese müssten „schnell und nachhaltig“ erfolgen. Nötig sei ein „Neubeginn“.