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Russische Angriffe : Lage im Donbass für Ukraine „extrem schlecht“

  • Aktualisiert am

Verletzte warten nach einem russischen Raketenangriff in einem Krankenhaus im ostukrainischen Prokovsk. Bild: AP

Massive russische Angriffe bringen die ukrainischen Verteidiger im Donbass immer weiter in Bedrängnis. Mehr als 40 Städte sollen beschossen worden sein. Präsident Selenskyj betont, keine Gebietsverluste hinnehmen zu wollen. Der Überblick.

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          Im Osten der Ukraine bringen massive russische Angriffe mit Artilleriebeschuss und Luftangriffen die ukrainischen Verteidiger immer weiter in Bedrängnis. Der Beschuss auf die Großstadt Sjewjerodonezk dauerte den ganzen Mittwoch an, wie der ukrainische Generalstab mitteilte. Das Verwaltungsgebiet Luhansk im Donbass sei zu 95 Prozent von russischen Truppen erobert, sagte Gouverneur Serhij Hajdaj. Die Lage sei „extrem schlecht“.

          Präsident Wolodymyr Selenskyj rief deshalb die Weltgemeinschaft auf, sich eindeutiger auf die Seite seines Landes zu stellen. Er zeigte sich in einer Videoansprache enttäuscht auch von den Beratungen beim Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz. „Egal, was der russische Staat tut, es gibt jemanden, der sagt: Lasst uns seine Interessen berücksichtigen“, sagte Selenskyj. „Und das trotz Tausender russischer Raketen, die die Ukraine treffen. Trotz Zehntausender getöteter Ukrainer. Trotz Butscha und Mariupol.“

          Das Treffen in Davos geht am Donnerstag weiter. Erwartet werden Auftritte von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko.

          Taktische Erfolge der russischen Truppen

          Sjewjerodonezk und das benachbarte Lyssytschansk sind die letzten großen Städte, die im Gebiet Luhansk noch von ukrainischen Truppen gehalten werden. Russland will das Gebiet vollständig erobern, um es der sogenannten Volksrepublik Luhansk zuzuschlagen. Diese hatte Moskau wenige Tage vor dem Angriff auf die Ukraine als unabhängigen Staat anerkannt – genauso wie die Volksrepublik Donezk.

          Der ukrainische Generalstab berichtete auch von Angriffen auf die Orte Berestowe, Lypowe und Nyrkowe. „Die Besatzer beschossen mehr als 40 Städte in den Regionen Donezk und Luhansk und zerstörten oder beschädigten 47 zivile Einrichtungen, darunter 38 Häuser und eine Schule. Infolge dieses Beschusses starben fünf Zivilisten und 12 wurden verwundet“, hieß es auf der Facebook-Seite der ukrainischen Streitkräfte. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Ausländische Beobachter befürchten, dass mehrere ukrainische Brigaden in Sjewjerodonezk eingekesselt werden könnten.

          „In einigen Richtungen haben die russischen Gruppierungen zweifellos taktische Erfolge, das ist im Prinzip auch kein Geheimnis“, sagte Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kiew, Olexander Motusjanyk. Es sei aber nicht richtig, von einem Rückzug zu sprechen. Die ukrainische Armee versuche zu manövrieren, um ihre Position zu verbessern und wieder anzugreifen.

          Als Beispiel für die Notlage im Osten nannte Gouverneur Hajdaj die Bestattung von mindestens 150 Menschen in einem Massengrab in Lyssytschansk. Die Polizei müsse als Bestatter aushelfen. In dem Grab seien sowohl Opfer des russischen Beschusses beigesetzt worden als auch Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben seien. Ein Video zeigte, wie Leichen in weißen Säcken – jeder mit dem Namen versehen – in eine Grube geworfen wurden. Nach dem Krieg sollten die Toten ordentlich beigesetzt werden, versprach der Gouverneur.

          Fragen an Scholz in Davos: Wie hilft Berlin der Ukraine?

          Selenskyj wurde am Mittwoch per Video zu einer Gesprächsrunde in Davos zugeschaltet und sagte, die Ukraine werde kein Gebiet abgeben. „Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurück hat.“

          Um die deutsche Haltung zum Krieg in der Ukraine dürfte es beim Auftritt von Bundeskanzler Scholz in Davos gehen. Deutschland wird von seinen Verbündeten in Nato und EU, aber auch von der Ukraine kritisiert, zu wenig gegen den russischen Angriff zu tun.

          Vor allem bei der Lieferung schwerer Waffen hat Berlin gezögert. Allerdings gibt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur unter den NATO-Staaten informelle Absprachen, bestimmte Waffensysteme nicht an die Ukraine zu übergeben. Bündniskreise bestätigten, so solle das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Russland möglichst gering gehalten werden.

          Befürchtet wird so zum Beispiel, dass Russland die Lieferung westlicher Kampfpanzer und Kampfflugzeuge als Kriegseintritt werten könnte und dann militärische Vergeltungsmaßnahmen ergreift. Solche Waffen hat die Ukraine bislang nicht bekommen. Letztlich liegt der Beschluss für oder gegen die Lieferung bestimmter Waffensysteme aber nicht bei der NATO, sondern jeder Staat entscheidet selbst.

          Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht Scholz in der Pflicht, für Klarheit in der deutschen Linie zu sorgen. „Es darf nicht sein, dass am Ende des Krieges die Welt Deutschland als kompletten Bremser und Looser empfindet, nur weil wir nicht in der Lage sind, zu organisieren und zu kommunizieren“, sagte sie. Deutschland habe humanitäre Hilfe organisiert und militärisches Material und Waffen von hohem Wert geliefert.

          Das bringt der Tag

          Beim Weltwirtschaftsforum wird am Donnerstag auch der Kiewer Bürgermeister und frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko erwartet, der über die Lage in der ukrainischen Hauptstadt berichten wird. Ein anderer Termin lenkt den Blick auf den friedlichen Widerstand gegen Machthaber Alexandr Lukaschenko in Belarus: In Aachen wird der Karlspreis an belarussische Bürgerrechtlerinnen verliehen, darunter an Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja.

          In Moskau berät das Oberste Gericht Russlands über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, das ukrainische Regiment „Asow“ zu einer terroristischen Vereinigung zu erklären. Das Regiment stellte viele Verteidiger von Mariupol, denen die russische Justiz einen Prozess wegen angeblicher Gräueltaten machen will.

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