https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/noetigungsvorwuerfe-gegen-parteimitglied-piraten-im-privaten-11617778.html

Nötigungsvorwürfe gegen Parteimitglied : Piraten im Privaten

Wie jeden Dienstag: Stammtisch der Berliner Piraten im „Kinski“ in Neukölln

Wie jeden Dienstag: Stammtisch der Berliner Piraten im „Kinski“ in Neukölln Bild: Gyarmaty, Jens

Auch andere Parteien haben ihre Skandale. Doch nirgends überschneiden sich Politik und Leben so stark wie bei den Berliner Piraten, nirgends sonst wird Internes so öffentlich ausgetragen.

          8 Min.

          Christopher Lauer ist eigentlich ein Mensch mit einem stabilen Nervenkostüm. Wenn der Abgeordnete Alexander Morlang ihn in der Fraktionssitzung, die er leiten soll, mit einer quietschenden Abstimmungskugel nervt, wenn sich die Diskussionen im Kreis drehen und alles wieder viel zu langsam geht, wenn jemand einen Vortrag über einen Antrag hält, um den es gerade gar nicht geht, dann holt er tief Luft und sagt: „Jetzt komme ich wieder zur Ruhe.“ Aber man kann Lauer, der einer von 15 Abgeordneten der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus ist, auch sehr schnell zum Ausrasten bringen. Man muss nur „Partnergate“ sagen, „Salzgate“ oder „Esogate“. Es sind die auf Twitter benutzten Codewörter der Skandälchen, mit denen die Berliner Piraten es in letzter Zeit regelmäßig in die Hauptstadtboulevardpresse geschafft haben. Hört er eins davon, ziehen sich Lauers dunkle Augen zusammen, seine Mundwinkel zucken, er knetet krampfhaft die Tablettenpackung, deren Inhalt er gerade eingenommen hat, will das Gespräch am liebsten abbrechen.

          Katharina Wagner
          Wirtschaftskorrespondentin für Russland und die GUS.

          Lauer hat für das Treffen ein schickes Café in Berlin-Mitte gewählt, wo er braunen Ökozucker aus dem Einweckglas in seinen Espresso löffelt. Er sieht müde aus und abgekämpft. Seit fast drei Monaten sitzt er im Abgeordnetenhaus, hat Anträge vorbereitet und die Fraktion angetrieben, hat versucht, Themen zu setzen, zum Beispiel den Kampf gegen den „Schultrojaner“, eine Software, die auf Schulcomputern kopierte Lehrmaterialien entdecken soll. „Pupsnormale Politik“ nennt er das. Bloß in der Öffentlichkeit ist sie kaum angekommen. Die „Gates“ dagegen schon - langsam, aber sicher brauchen sie den Welpenbonus auf, den die neuen Abgeordneten am Anfang hatten.

          Gutes, echtes Markensalz

          Kaum hatten sie die Büros der ausgeschiedenen FDP bezogen, da ging es im November mit „CC-Gate“ los. Gerade hatte die Fraktion ihre erste Große Anfrage zum Thema Schultrojaner gestellt, da schickte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Martin Delius, eine E-Mail an 252 Bewerber, die danach alle voneinander wussten, weil er ihre Namen nicht in das Blind-Copy-Feld geschrieben hatte. Blöd, wenn das ausgerechnet einer Partei passiert, die sich für Datenschutz engagiert. Delius schob es auf die hohe Arbeitsbelastung.

          Dies ist keine Kneipe: Fraktionssitzung im Berliner Abgeordnetenhaus
          Dies ist keine Kneipe: Fraktionssitzung im Berliner Abgeordnetenhaus : Bild: Gyarmaty, Jens

          Kurz darauf kam „Partnergate“. Die einzige Piratin im Abgeordnetenhaus, die 19 Jahre alte Susanne Graf, hatte ihren Freund, den Bundespressesprecher ihrer Partei, als Mitarbeiter eingestellt. Das ist nach Landesabgeordnetengesetz des Berliner Abgeordnetenhauses - anders als im Bundestag - zwar nicht verboten, aber die Empörung war trotzdem groß, zumal Graf die Fraktion nicht eingeweiht hatte. Mitte November rechtfertigte sie sich auf ihrem Blog. Sie hätte „das ganze früher kommunizieren sollen“. Sie habe ihren Freund eingestellt, weil sie schnell jemanden gebraucht habe, dem sie vertraue und der ihren Tagesablauf gut kenne. Schon einen Tag später gab sie „nach Gesprächen mit diversen Piraten“ bekannt, dass sie das Arbeitsverhältnis beenden werde. Auch der Abgeordnete Oliver Höfinghoff ist mit seiner persönlichen Mitarbeiterin liiert. Eine feste Beziehung sei aber erst nach der Einstellung entstanden, argumentierte er - und beließ es dabei.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Vizekanzler Robert Habeck im Kabinett

          Streit über Habecks Reform : Verheiztes Vertrauen

          Die Deutschen haben ein sachliches Verhältnis zu ihrer Heizung. Die Politik könnte also auch sachlich mit dem Thema umgehen. Warum schafft die Ampel das nicht?

          Beben beim FC Bayern : Kahn-Trennung nicht einvernehmlich

          Die Münchner Verantwortlichen erklären die Hintergründe zum Aus von Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić. Doch wie lief das Gespräch mit Kahn wirklich? Die Wahrnehmungen gehen weit auseinander.
          Nordrhein-Westfalen, Solingen: An der Stelle, an das Haus der türkischen Familie Genc gestanden hatte, erinnert eine Gedenktafel an die Opfer des Brandanschlags.

          Solinger Mordanschlag : Sie wollen es nicht gewesen sein

          Kurz vor dem Jahrestag des rechtsextremen Mordanschlags auf die Familie Genc, bei dem drei Kinder und zwei Frauen verbrannten, äußern sich die Verurteilten erstmals öffentlich. Sie beteuern ihre Unschuld – und sehen sich als Justizopfer.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.