Nötigungsvorwürfe gegen Parteimitglied : Piraten im Privaten
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Wie jeden Dienstag: Stammtisch der Berliner Piraten im „Kinski“ in Neukölln Bild: Gyarmaty, Jens
Auch andere Parteien haben ihre Skandale. Doch nirgends überschneiden sich Politik und Leben so stark wie bei den Berliner Piraten, nirgends sonst wird Internes so öffentlich ausgetragen.
Christopher Lauer ist eigentlich ein Mensch mit einem stabilen Nervenkostüm. Wenn der Abgeordnete Alexander Morlang ihn in der Fraktionssitzung, die er leiten soll, mit einer quietschenden Abstimmungskugel nervt, wenn sich die Diskussionen im Kreis drehen und alles wieder viel zu langsam geht, wenn jemand einen Vortrag über einen Antrag hält, um den es gerade gar nicht geht, dann holt er tief Luft und sagt: „Jetzt komme ich wieder zur Ruhe.“ Aber man kann Lauer, der einer von 15 Abgeordneten der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus ist, auch sehr schnell zum Ausrasten bringen. Man muss nur „Partnergate“ sagen, „Salzgate“ oder „Esogate“. Es sind die auf Twitter benutzten Codewörter der Skandälchen, mit denen die Berliner Piraten es in letzter Zeit regelmäßig in die Hauptstadtboulevardpresse geschafft haben. Hört er eins davon, ziehen sich Lauers dunkle Augen zusammen, seine Mundwinkel zucken, er knetet krampfhaft die Tablettenpackung, deren Inhalt er gerade eingenommen hat, will das Gespräch am liebsten abbrechen.
Lauer hat für das Treffen ein schickes Café in Berlin-Mitte gewählt, wo er braunen Ökozucker aus dem Einweckglas in seinen Espresso löffelt. Er sieht müde aus und abgekämpft. Seit fast drei Monaten sitzt er im Abgeordnetenhaus, hat Anträge vorbereitet und die Fraktion angetrieben, hat versucht, Themen zu setzen, zum Beispiel den Kampf gegen den „Schultrojaner“, eine Software, die auf Schulcomputern kopierte Lehrmaterialien entdecken soll. „Pupsnormale Politik“ nennt er das. Bloß in der Öffentlichkeit ist sie kaum angekommen. Die „Gates“ dagegen schon - langsam, aber sicher brauchen sie den Welpenbonus auf, den die neuen Abgeordneten am Anfang hatten.
Gutes, echtes Markensalz
Kaum hatten sie die Büros der ausgeschiedenen FDP bezogen, da ging es im November mit „CC-Gate“ los. Gerade hatte die Fraktion ihre erste Große Anfrage zum Thema Schultrojaner gestellt, da schickte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Martin Delius, eine E-Mail an 252 Bewerber, die danach alle voneinander wussten, weil er ihre Namen nicht in das Blind-Copy-Feld geschrieben hatte. Blöd, wenn das ausgerechnet einer Partei passiert, die sich für Datenschutz engagiert. Delius schob es auf die hohe Arbeitsbelastung.
Kurz darauf kam „Partnergate“. Die einzige Piratin im Abgeordnetenhaus, die 19 Jahre alte Susanne Graf, hatte ihren Freund, den Bundespressesprecher ihrer Partei, als Mitarbeiter eingestellt. Das ist nach Landesabgeordnetengesetz des Berliner Abgeordnetenhauses - anders als im Bundestag - zwar nicht verboten, aber die Empörung war trotzdem groß, zumal Graf die Fraktion nicht eingeweiht hatte. Mitte November rechtfertigte sie sich auf ihrem Blog. Sie hätte „das ganze früher kommunizieren sollen“. Sie habe ihren Freund eingestellt, weil sie schnell jemanden gebraucht habe, dem sie vertraue und der ihren Tagesablauf gut kenne. Schon einen Tag später gab sie „nach Gesprächen mit diversen Piraten“ bekannt, dass sie das Arbeitsverhältnis beenden werde. Auch der Abgeordnete Oliver Höfinghoff ist mit seiner persönlichen Mitarbeiterin liiert. Eine feste Beziehung sei aber erst nach der Einstellung entstanden, argumentierte er - und beließ es dabei.