
Rechtspopulisten in England : Die große Unzufriedenheit
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In Jubelpose: Ukip-Chef Nigel Farrage nach dem Gewinn des zweiten Unterhaussitzes für seine Partei Bild: Reuters
Europakritische und rechtspopulistische Parteien wie die Ukip in Großbritannien scheinen für viele Wähler sehr attraktiv zu sein. Dieser Herausforderung kann nur mit offener politischer Auseinandersetzung begegnet werden.
Die europakritische und populistische Partei Ukip hat bei einer Nachwahl ihr zweites Mandat im britischen Unterhaus gewonnen. Ihr Anführer, der EU-Abgeordnete Nigel Farage, richtet den Blick schon triumphierend auf die Unterhauswahl im kommenden Mai und behauptet, seine Partei werde im Parlament eine wichtige Kraft werden. Selbst wenn nicht alle Träume Farages und seiner Anhänger wahr werden sollten, ist den traditionellen Parteien doch ziemlich mulmig zumute. Für viele Wähler scheint die United Kingdom Independence Party mittlerweile jedenfalls sehr attraktiv zu sein. So wie der Front National in Frankreich, die Wilders-Partei in den Niederlanden und auch die AfD in Deutschland.
Ukip hat es immerhin bereits geschafft, das traditionelle britische - genauer: das englische - Parteiensystem aufzubrechen. Es gibt nun nicht mehr nur die Konservativen, Labour, mit gehörigem Abstand die Liberaldemokraten und etwas Grün. Jetzt hat eine Partei Auftrieb, die als Protestbewegung der Unzufriedenen begann, heute nicht zuletzt im Arbeitermilieu reüssiert und eine Stimmung der Frustration und der Wut bedient. Ukip ist „in“, ihr Anführer Farage kann es an Charisma und Propagandatalent mit jedem aufnehmen, erst recht mit den Frontleuten der Etablierten. Zu glauben, die Partei werde schon bald wieder verschwinden wie eine Sternschnuppe, wenn sich die Leute in ihrem Anti-Eliten-Furor und ihrem Hass auf die Politiker der traditionellen Parteien wieder beruhigt hätten, dürfte sich als Selbsttäuschung erweisen. Denn die Proteststimmung wird so bald nicht abflauen.
Es wird auch nicht richtig verfangen, die Ukip-Wähler zu verspotten oder lächerlich zu machen, weil sie sich nach einem Britannien sehnten, das längst untergegangen sei, und weil sie sich die (angeblich) heile Welt von gestern zurückwünschten. Die großen Veränderungen unserer Zeit - Globalisierung, Europäisierung, sozialer Wandel, Einwanderung - schaffen ständig Nachschub für Verdruss und für das Gefühl vieler Leute heran, den Boden unter den Füßen zu verlieren und heimatlos zu werden. Das hat viel weniger als behauptet mit der Sparpolitik zu tun.
Die soziale Luft in Europa wird größer
Dagegen ist Einwanderung vielleicht das Thema, das besonders verunsichert und einen emotional aufgeladenen Widerspruch provoziert. Es trägt dazu bei, das Vertrauen in den Staat auszuhöhlen, weil er offenkundig nicht mehr ganz Herr seiner Grenzen ist. Es wird also, so steht zu vermuten, dauerhaft ein Reservoir geben, das populistischen Parteien, in Großbritannien und in anderen europäischen Ländern, Wähler zuführt.
Die Fragen, die sich den „etablierten“ Politikern stellen, lauten zunächst: Sollen sie die neuen Konkurrenten am rechten Rand (es gibt sie freilich auch am linken) politisch ignorieren und sozial ächten? Oder sollen sie ihre Themen übernehmen, ihnen quasi mit einem „Populismus light“ die Wähler wieder abjagen? Der britische Premierminister Cameron scheint es so zu versuchen, indem er die Sorgen und Vorbehalte vieler Wähler in puncto Einwanderung aufgreift und eine Begrenzung der Freizügigkeit in der EU zu erreichen sucht. Kritiker sehen ihn schon in eine Falle tappen, weil er die Protestparteien mit der Übernahme ihrer Agenda legitimiere.
Als Ausweg bleibt also nur die offene politische Auseinandersetzung. Wobei in der Tat viel gewonnen wäre, wenn alle Themen angesprochen würden, die den Leuten auf den Nägeln brennen. Man muss diesen Wählern das Gefühl nehmen, sie seien irgendwie die Dummen und ihre politisch-kulturellen Bedürfnisse zählten nicht mehr.
Das wird aber das Grunddilemma nicht zum Verschwinden bringen. Und das hat eben damit zu tun, dass der wirtschaftliche Anpassungsdruck und die soziale Veränderungsgeschwindigkeit unverändert hoch bleiben werden. Wenn gesagt wird, dass wir uns in dieser hyperkompetitiven Welt immer mehr anstrengen müssten, um das Versorgungsniveau und den Lebensstandard von heute nur zu halten, dann ist das zweifellos richtig. Das zu tun bleibt unerlässlich. Aber vermutlich wird es viele Leute geben, die diese Geschwindigkeit nicht mitmachen können oder nicht wollen. Mit anderen Worten: Die soziale Kluft in Europa wird größer, der Ton der politischen Auseinandersetzung wird rauher, aggressiver, verächtlicher. Hier sind die wahren Triebkräfte zu suchen, die Populismus und Neonationalismus wieder gedeihen lassen.
Und doch sind diejenigen, die von der allgemeinen Verunsicherung profitieren, Illusionsverkäufer mit einem Hang zum Führerkult. Sie können den Wunsch vieler Leute, behütet und beschützt zu werden, nicht erfüllen, sie können allenfalls rhetorisch Trost spenden. Denn die europäischen Staaten werden nicht das weltoffene Modell, das ihnen Wohlstand einbrachte, aufgeben zugunsten von Protektionismus und einem neuen Isolationismus. Aber die Politiker in Europa müssen zur Kenntnis nehmen, wie sehr sich ihre pluralistischen Gesellschaften verändern und alte politische Formationen und Glaubenssätze an Macht verlieren.
