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Zukunft von Facebook & Co. : Wie soziale Medien an die Meinungsfreiheit gebunden sind

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Nach der Definition des Gesetzes sind soziale Netzwerke Betreiber von Medienintermediären, die journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aufgreifen und zu einem Gesamtangebot bündeln. Für sie gelten in Deutschland das Telemediengesetz und der Medienstaatsvertrag. Die Angebote sind an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Die Verantwortlichen dieser Dienste sind keine herkömmlichen Medienunternehmer. Sie dürfen aber, anders als eine Zeitung oder ein Rundfunksender, keine redaktionelle Agenda und keinen gesellschaftspolitischen Auftrag haben. Sie sind als Dienst eine Art „schwarzes Brett“ für Kommunikationsinhalte aller Art.

Anders als meinungsmächtigen Rundfunkveranstaltern ist Medienintermediären nicht vorgeschrieben, für eine ausgewogene Vielfalt der Meinungen auf ihren Plattformen zu sorgen. Dem Verantwortlichen eines Medienintermediärs muss es grundsätzlich gleich sein, was über sein Medium transportiert wird. Das ist bei Zeitungen und Rundfunkveranstaltern anders. Hier entscheiden Redaktionen über das, was gedruckt, gesendet oder auf den eigenen Kanälen im Netz verbreitet wird. Das ist kein „Mitmachmedium“ für alle, sondern ein Instrument im Konzert der Meinungen.

Eng an die Grundrechte gebunden

Könnten soziale Netzwerke hierzulande rechtlich gebremst werden, wenn sie den tatsächlich freilich nicht vorhandenen persönlichen Account der Regierungschefin sperren würden? Medienintermediäre unterstehen der Kontrolle der Landesmedienanstalten. Diese können aber bei Rechtsverstößen nicht unmittelbar gegen den jeweiligen Medienintermediär vorgehen. Sie können nur gegen den Urheber des Posts einschreiten. Wäre das unzumutbar, dann können Maßnahmen gegenüber dem Internetzugangsanbieter des Nutzers ergriffen werden. Von dort müsste der Zugriff auf das Profil des Nutzers gesperrt werden.

Würde also die Kanzlerin in einem Post gegen die Verfassung verstoßen, dann müsste die Medienanstalt gegebenenfalls ihren Provider anweisen, den Inhalt zu entfernen und die Kanzlerin zu sperren. Sowohl gegen die Sperrung durch das soziale Netzwerk als auch gegen eine etwaige Sperrverfügung der Landesmedienanstalt könnte sie vor einem Gericht klagen. Gegen die Sperrung eines Accounts, wie es etwa bei Trump durch Twitter geschehen ist, könnte auch hierzulande die Landesmedienanstalt nicht unmittelbar einschreiten.

Ein anderer Weg wäre die Beschwerde eines Nutzers gegen die Kanzlerin bei Facebook. Auf diese hin würde der Post auf einen Rechtsverstoß geprüft und sein Urheber nach den Nutzungsregeln des Netzwerks sanktioniert. Gegen eine Sperre könnte der Nutzer dann vor den Zivilgerichten klagen, weil es ja um die Umsetzung allgemeiner Geschäftsbedingungen geht. Die Frage der rechtswidrigen Account-Sperrung einer rechten Partei durch Facebook behandelt das Bundesverfassungsgericht im Fall „Der dritte Weg“ – entschieden werden soll dieses Jahr.

Welche rechtlichen Rahmen gibt es noch? Das novellierte NetzDG wird Anbieter verpflichten, Nutzern Löschungen und Sperrungen von Inhalten auf Basis der Nutzungsbedingungen auf eine Beschwerde hin zu erläutern. Das ist ein wichtiger Schritt zu Transparenz und Rechtssicherheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass soziale Netzwerke als private Unternehmen und Torwächter der Weltkommunikation wegen ihrer besonderen Machtstellung mittelbar, aber eng an die Grundrechte gebunden sind. Der Entwurf des europäischen Digital Services Act vom 15. Dezember 2020 vollzieht das nach und will meinungsmächtige Medienintermediäre auf die Wahrung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen verpflichten. Zugleich will er ihnen abverlangen, sich einen Verhaltenskodex zu geben, indem sie sich auf die Wahrung des Rechts verpflichten.

Ein solcher Social-Media-Kodex kann ein Bekenntnis zum Recht der freien Meinung im Internet sein. Unter faz.net/socialmediakodex findet sich ein Vorschlag, wie sich soziale Netzwerke in 10 Leitsätzen transparent zu ihrem Selbstverständnis und zur Verfassung bekennen können.

Professor Dr. Rolf Schwartmann leitet die Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln und ist Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit.

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