Kiew fürchtet „taktischen Sieg“ Moskaus in der Ostukraine
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Feuerwehrleute in Mykolajiw am 18. Juni Bild: dpa
Im Donbass rückt die russische Armee vor. Auch Charkiw steht wieder unter Beschuss. Ukrainische Drohnen haben derweil offenbar eine grenznahe Raffinerie auf russischem Boden angegriffen.
Nach fast vier Monaten Krieg hat Russland die Millionenstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine wieder unter Beschuss genommen. Russische Truppen feuerten am Mittwoch zahlreiche Raketen auf die Stadt und ihre Umgebung. Dabei wurden nach ukrainischen Angaben mindestens 15 Zivilisten getötet. Olexij Arestowytsch, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sagte dazu, dass die Russen ukrainische Kräfte binden wollten, um sie von der Hauptschlacht in der Donbass-Region abzulenken.
„Russische Kräfte gehen gegen die Stadt Charkiw in der Art vor, wie sie gegen Mariupol vorgegangen sind – mit dem Ziel, die Bevölkerung zu terrorisieren“, sagte Arestowytsch. Unter den Opfern in Charkiw befand sich nach ukrainischen Angaben auch eine 85 Jahre alte Frau. Der Enkel der Toten sagte ukrainischen Medien mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg, seine Großmutter sei ein „Kind des Krieges“ gewesen. „Sie überlebte einen Krieg, aber durch diesen hat sie es nicht geschafft.“
Angriffe auf Mykolajiw und Odessa
Auch in der Großstadt Mykolajiw im Süden der Ukraine trafen nach Behördenangaben Raketen mehrere Wohngebäude. Im Gebiet Odessa zerstörten russische Raketen ein „Objekt der Infrastruktur“. Die heftigsten Kämpfe finden nach wie vor im Gebiet Luhansk statt. Arestowytsch zeigte sich besorgt, dass die russischen Streitkräfte dort die größeren Städte Lyssytschansk und Sewerodonezk einschließen könnten. „Die Gefahr eines taktischen russischen Sieges ist gegeben, aber sie haben es noch nicht geschafft“, sagte der Berater.


Laut Kiewer Angaben versucht die russische Armee außerdem, Richtung Isjum und Slowjansk vorzurücken. Im weitgehend russisch besetzten Gebiet Cherson meldete die russische Agentur RIA Nowosti einen Anschlag auf einen prorussischen Verwaltungschef. Der Mann sei leicht verletzt worden. Das Moskauer Verteidigungsministerium bestätigte zudem, dass die Ukraine am Montag mit Kampfdrohnen und Artillerie die russisch besetzte Schlangeninsel im Schwarzen Meer angegriffen habe.
Unterdessen kam es in einer Ölraffinerie im südwestrussischen Gebiet Rostow zu einem Brand, für den der Betreiber ebenfalls einen Drohnenangriff verantwortlich machte. Zwei Fluggeräte hätten die Raffinerie attackiert, teilte das Unternehmen aus der Stadt Nowoschachtinsk mit und sprach von „terroristischen Handlungen vonseiten der westlichen Grenze des Rostower Gebiets“. Nowoschachtinsk liegt acht Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Der Katastrophenschutz teilte mit, bei dem Angriff sei niemand verletzt worden. In sozialen Medien wurde ein Video verbreitet, das zeigt, wie eine Drohne in eine Raffinerie fliegt, in der daraufhin ein Feuer ausbricht. Ein die russischen Streitkräfte unterstützender Telegram-Kanal schrieb, bei dem Fluggerät handele es sich um eine chinesische Skyeye-Drohne, die im Onlinehandel erhältlich sei.
Lambrecht: Ausbildung an Mars-II-Systemen ab kommender Woche
Derweil soll die Ausbildung ukrainischer Soldaten an dem von Deutschland zugesagten Raketenwerfer Mars II nach Angaben von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kommende Woche beginnen. Nach der Bereitstellung von sieben „Panzerhaubitzen 2000“ sei dies das nächste Waffensystem „in der Vorbereitung“ für eine Lieferung an Kiew, sagte die Ministerin am Mittwoch im Bundestag. Deutschland werde dabei wie angekündigt drei derartige Systeme bereitstellen, Großbritannien drei und Amerika vier. Die Systeme seien wichtig, „um die Ukraine mit Artillerie zu unterstützen, die zum einen weitreichend, aber auch sehr präzise ist“, sagte Lambrecht. Moskau warf Berlin am Mittwoch „russenfeindliche Hysterie“ vor. Die Bundesregierung gefährde „jahrzehntelange Bemühungen Russlands und Deutschlands, die Feindschaft nach dem Krieg zu überwinden“, erklärte das Außenministerium in Moskau am Mittwoch anlässlich des Gedenktags an den Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion.
Estland bestätigte am Mittwoch die Verletzung seines Luftraums durch einen Hubschrauber des russischen Grenzschutzes. Das Gerät vom Typ Mi-8 sei am 18. Juni für fast zwei Minuten unerlaubt in den Luftraum des Landes eingedrungen, teilte die estnische Armee mit. Das Außenamt in Tallinn bestellte den russischen Botschafter ein. Estland kritisierte den „bedauerlichen Vorfall, der zweifellos zusätzliche Spannungen verursacht und völlig inakzeptabel ist“, hieß es in einer Mitteilung. Nach Armeeangaben war es die zweite Luftraumverletzung durch Russland in diesem Jahr.