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Richter über Kardinal Pell : „Kaltschnäuzig und arrogant“

George Pell muss ins Gefängnis. Bild: dpa

Der australische Kardinal George Pell bekommt für sexuellen Kindesmissbrauch sechs Jahre Haft und einen Eintrag in das Register für Sexualstraftäter. Der zuständige Richter begründet sein Urteil sorgfältig.

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          Manche sehen in ihm einen Kinderschänder, der mit einem vergleichsweise milden Urteil davon gekommen ist, andere einen Sündenbock, der für die Fehler der katholischen Kirche büßen muss. Ungeachtet von Kritik und Jubel ist Australiens ranghöchster Katholik, Kardinal George Pell, wegen des sexuellen Missbrauchs an Kindern zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Davon muss er mindestens drei Jahre und acht Monate verbüßen.

          Till Fähnders
          Politischer Korrespondent für Südostasien.

          Der Richter Peter Kidd wies darauf hin, dass der 77 Jahre alte Kardinal, der an Herzproblemen leidet, das Gefängnis womöglich nicht mehr lebend verlassen wird. Pell war am Morgen langsam und beschwerlich in den Gerichtssaal am Bezirksgericht von Melbourne geschritten. Die Verkündung des Strafmaßes nahm er ohne sichtbare Gefühlsregung zur Kenntnis. In seinem Auftreten war nicht mehr viel von der Aura der Macht zu spüren, die ihn bis dahin umgeben hatte. Als ehemaliger Finanzchef gehörte er einst zu den einflussreichsten Männern im Vatikan.   

          In seiner Begründung hatte Richter Kidd keinen Zweifel daran gelassen, was er von den Verbrechen des Australiers hält. Er bezeichnete Pells Taten als „kaltschnäuzig und gewalttätig“ und „atemberaubend arrogant“. Der damalige Erzbischof von Melbourne hatte demnach in den Jahren 1996 und 1997 zwei Chorknaben sexuell missbraucht. Als belastend hatte der Richter bewertet, dass er seine Machtposition ausgenutzt und das Vertrauensverhältnis der Jungen einer Autoritätsperson wie ihm gegenüber missbraucht hatte.

          Er ließ dafür als mildernde Umstände Pells fortgeschrittenes Alter und seinen Gesundheitszustand gelten, sowie die Tatsache, dass er ihm von verschiedenen Seiten ein guter Charakter bescheinigt worden war. Zudem gebe es keine anderen Taten dieser Art, die ihm gerichtlich nachgewiesen werden konnten. Da der Kardinal aber bis zum Schluss seine Unschuld beteuert hat, konnte auch kein Geständnis oder eine Äußerung von Reue das Urteil abmildern.

          Einer der bemerkenswertesten Momente an diesem Gerichtstag kam, als Pell noch auf der Anklagebank die Dokumente unterschreiben musste, mit denen sein Name in das australische Register für Sexualstraftäter aufgenommen wurde. Dieser Eintrag wird auch nach absolvierter Haftzeit als Makel bestehen bleiben.

          Proteste vor dem Gericht

          Ein Geschworenengericht hatte Pell schon im Dezember in allen fünf Anklagepunkten schuldig gesprochen. Es war aber erst Ende Februar offiziell bestätigt worden, nachdem eine Nachrichtensperre über den Prozess aufgehoben worden war. Dafür entschied das Gericht nun sogar, die Verkündung des Strafmaßes im Fernsehen live übertragen zu lassen. Den Einspruch von Pells Verteidigung dagegen wies der Richter zurück. Rund 120 Journalisten, Opferangehörige und Missbrauchsaktivisten waren ohnehin im Saal anwesend. Auch vor dem Gerichtsgebäude hatte sich ein großes Medienaufgebot versammelt.

          Demonstranten hielten Schilder in die Höhe, auf denen sie die katholische Kirche aufforderten, mehr für die Missbrauchsopfer zu tun. Die Beschimpfungen, mit denen er bisweilen vor dem Gebäude überzogen worden war, blieben Pell diesmal erspart, weil er nicht durch den Haupteingang an- und abgeführt wurde. Richter Kidd gab sich Mühe, dem Eindruck entgegenzutreten, dass er an diesem Tag ein Urteil über die Kirche an sich sprechen werde. Er kritisierte, dass die Auseinandersetzung mit Pell bisweilen den Grad einer „Hexenjagd“ und sogar einer „Lynch-Mob-Mentalität“ angenommen habe. In manchen Kreisen sei Pell eine „öffentlich geschmähte“ Person.

          Mit dem Strafmaß blieb Richter dann auch unter dem, was manche Beobachter erwartet hatten. Kidd, der höchste Richter am Bezirksgericht von Melbourne, ließ mit seiner klar und sorgfältig begründeten Entscheidung keine Zweifel an Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Für Pells Anwälte wird es nun schwierig, im Berufungsverfahren Anfang Juni noch eine Verringerung des Strafmaßes oder sogar einen Freispruch zu erwirken.

          Die Verteidigung hat angekündigt, in drei Punkten Berufung gegen das Urteil einzulegen. Zwei davon betreffen eher verfahrenstechnische Dinge wie das Prozedere bei der Jury-Auswahl und die Nichtzulassung einer Video-Animation. Aber sie will auch den Schuldspruch der Jury auf Basis der Aussage des Hauptbelastungszeugen in Frage stellen. Dieser meldete sich nach dem Urteil in einer Stellungnahme zu Wort. Er zeigte sich dankbar, dass das Gericht anerkenne, was ihm als Kind angetan worden sei. „Aber es gibt keine Rast für mich. Alles wird von der bevorstehenden Berufung überschattet.“

          Das Urteil hatte auf sexuelle Penetration eines Minderjährigen und der obszönen Handlungen an einem oder in Anwesenheit eines Minderjährigen gelautet. Diese Vergehen können im australischen Bundesstaat Victoria mit jeweils zehn Jahren Haft bestraft werden. Theoretisch hätte der Richter Pell also für 50 Jahre Gefängnis geben können. Neben den mildernden Umständen musste aber auch berücksichtigt werden, dass die verschiedenen Anklagepunkte nicht unbedingt voneinander getrennt werden können.

          Die Basis für die Richterentscheidung war der zweite Anklagepunkt, demzufolge George Pell dem Hauptbelastungszeugen damals nach der Sonntagsmesse in der Sakristei der Kathedrale von St. Patrick seinen Penis in den Mund gesteckt hatte. Dafür verhängte der Richter allein schon vier Jahre Haft. Die zwei Wochen, die er schon im Gefängnis verbracht hat, werden ihm auf sein Strafmaß angerichtet. Nach rund 70 Minuten im Gerichtssaal rief der Richter den Sicherheitskräften zu: „Bringen Sie Kardinal Pell hinaus.“ Dann wurde er auf direktem Wege zurück in seine Zelle befördert.

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