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Leerverkäufe : Einige Staaten verbieten Spekulation auf fallende Kurse

Stress an der Börse: Händler in Frankfurt Bild: dpa

Spekulanten dürfen auf fallende Kurse setzen, jedenfalls in normalen Zeiten. Doch Frankreich und andere Länder verbieten Leerverkäufe nun. In Deutschland bleiben sie dagegen erlaubt – noch.

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          Angesichts der fortgesetzten Kursverluste an der französischen Börse hat die Wertpapieraufsicht AMF in Paris in dieser Woche alle Leerverkäufe verboten. Zuerst galt die Untersagung nur für 24 Stunden und für jene 92 Werte, die an einem Tag einen Kurssturz von mehr als 10 Prozent erlebten. Am Mittwoch weitete die Behörde das Verbot jedoch auf alle in Paris gehandelten Aktien aus und verlängerte es auf einen Monat. Die Börse sei derzeit „außergewöhnlichen Umständen ausgesetzt, die das Vertrauen in die Finanzmärkte bedrohen“, daher sei die Maßnahme gerechtfertigt, teilte der Präsident der Aufsichtsbehörde, Robert

          Zusätzlicher Stress

          Christian Schubert
          Wirtschaftskorrespondent für Italien und Griechenland.
          Markus Frühauf
          Redakteur in der Wirtschaft.
          Michaela Seiser
          Wirtschaftskorrespondentin für Österreich und Ungarn mit Sitz in Wien.

          Ophèle, mit. Er fügte in einem Interview hinzu, dass „Spanien, Italien und Belgien den gleichen Ansatz verfolgen“. Das Ziel laute, „zusätzlichen Stress in einem ohnehin sehr angespannten Markt zu vermeiden“. Das Verbot von Leerverkäufen werde auch auf Ebene der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA diskutiert, berichtete Ophèle.

          Zu einem Verbot konnten sich die EU-Behörden bisher nicht entschließen. Um Spekulationen schneller einen Riegel vorschieben zu können, hatte die Behörde aber am Montag beschlossen, dass Netto-Leerverkaufspositionen bereits ab 0,1 Prozent statt zuvor 0,2 Prozent den nationalen Aufsichtsbehörden gemeldet werden müssen. Dadurch erhielten die Aufseher einen genaueren Einblick und könnten entscheiden, ob weitere Schritte notwendig seien, erklärte die ESMA.

          Die italienische Börse hat das Verbot unterdessen sogar auf drei Monate ausgedehnt. In Belgien und Spanien beträgt es wie in Frankreich einen Monat. Der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire bezeichnete die Entscheidung der französischen Börsenaufsicht als „gut und notwendig“. Er wünsche sich, dass das Leerverkaufsverbot auch europaweit erlassen werde, sagte er auf einer Pressekonferenz.

          CAC 40

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          In Paris haben sich auch Stimmen erhoben, den Aktienmarkt ganz zu schließen. Doch dagegen wandte sich die Börsenaufsicht. „Man schließt die Börsen erst, wenn sie nicht mehr funktionieren. Doch das ist heute nicht der Fall“, sagte der Chefaufseher Ophèle. Das letzte Mal wurde die Pariser Börse nach den Anschlägen von New York im September 2001 geschlossen. Doch das lag damals vor allem an technischen Gründen, weil die Börse noch nicht vollständig digitalisiert war, berichtete Ophèle. Der französische Vorzeigeindex CAC-40 hat in den vergangenen vier Wochen rund 39 Prozent seines Wertes verloren.

          Bafin beobachtet die Lage

          Die deutsche Finanzaufsicht Bafin stehe bezüglich der Leerverkäufe in enger Abstimmung mit den Börsenaufsichtsbehörden, den anderen nationalen Aufsichtsbehörden und der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA, sagte eine Bafin-Sprecherin. Ihren Angaben zufolge beobachtet die Bafin gegenwärtig eng die Marktentwicklung einschließlich der Verkaufspositionen. Bislang hat sich die deutsche Finanzaufsicht hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zurückgehalten. Die Gegner von Leerverkaufsverboten begründen den Kursverfall an den Aktienmärkten angesichts der Rezession und Unsicherheit wegen des Produktionsstillstands mit fundamentalen, aber nicht mit spekulativen Ursachen.

          Doch in Deutschland hat sich der Druck aus der Politik zuletzt erhöht: Die Stimmen für ein Leerverkaufsverbot reichen vom CSU-Europapolitiker Markus Ferber bis zum Finanzfachmann der Linken-Bundestagsfraktion, Fabio De Masi. „Die EU braucht jetzt eine koordinierte Finanzaufsicht und sollte gedeckte Leerverkäufe sowie den Hochfrequenzhandel an allen europäischen Finanzplätzen untersagen“, hatte der Linken-Bundestagsabgeordnete De Masi Anfang dieser Woche gefordert.

          Seit der Finanzkrise sind in Europa ungedeckte Leerverkäufe verboten. Hier verkaufen Investoren Aktien, die sie noch gar nicht besitzen und die sie sich erst nach einigen Tagen besorgen. Das ist wenig transparent, weshalb nur noch gedeckte Leerverkäufe erlaubt sind. Hier leihen sich die Anleger die Aktien meistens von großen Investmentbanken. Diese verkaufen sie am Markt, in der Hoffnung, die Titel nach einem Kurssturz günstiger wiederbeschaffen zu können, um sie dann dem ausleihenden Geschäftspartner zurückzugeben.

          Einzelne und kurzzeitige Verbote

          Die Spanne zwischen Verkaufskurs und günstigerem Beschaffungspreis ist dann der Gewinn aus dem gedeckten Leerverkauf. Im vergangenen Jahr hatte die Bafin für einige Monate Leerverkäufe der Wirecard-Aktie untersagt. Diese war wegen Gerüchten über die Bilanzierungspraxis heftigen Kursschwankungen ausgesetzt. Die Bafin kann nach der EU-Leerverkaufsverordnung ein Verbot verhängen, wenn sie eine Bedrohung der Marktintegrität oder – wie bei Wirecard – eine Bedrohung des Marktvertrauens sieht.

          Österreich hat sich unterdessen dem Verbot angeschlossen. Nach dem rapiden Kursverfall an der Wiener Börse in den zurückliegenden Tagen hat auch die österreichische Finanzmarktaufsicht Wetten auf gedeckte Aktien-Kursverluste ab sofort für einen Monat verboten. Der Wiener Leitindex ATX hat seit Monatsbeginn mehr als ein Drittel an Wert verloren, lag aber am Donnerstagmittag erst mal deutlich im Plus.

          Aus Sicht der FMA können spekulative Leerverkäufe im derzeit außergewöhnlich volatilen globalen und österreichischen Marktumfeld zu erheblichen Risiken führen. „In der schwierigen Situation durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie des Covid-19-Virus müssen die Stabilität der Finanzmärkte und der Erhalt des Vertrauens der Anleger in deren ordnungsgemäßes Funktionieren absoluten Vorrang haben“, erklärten die obersten Finanzmarktaufseher. Das Management der Wiener Börse wirbt derweil bei Investoren um mehr Beachtung.

          Von Christian Schubert, Paris, Markus Frühauf, Frankfurt, und Michaela Seiser, Wien

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