Ideengeschichte : Die Liberalen und der Staat
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Adam Smith Bild: akg-images
Ohne Regeln kein Markt. Liberale Denker haben das in einem schmerzlichen Prozess gelernt. Der Staat muss den Wettbewerb und das Prinzip Haftung durchsetzen - nicht kollabierende Banken auffangen.
Gut zwei Jahrzehnte nach dem Untergang des Sozialismus, der an sich selbst scheiterte, steckt der damals triumphierende Marktliberalismus in einem Tal der Zweifel. In den Augen seiner Kritiker hat er sich völlig diskreditiert. Die Finanzkrise sei wie der Fall der Mauer - diesmal ein Menetekel für den Neoliberalismus, meint Joseph Stiglitz, Ökonomie-Nobelpreisträger und Globalisierungskritiker. Nach Ansicht der Mehrheit der Intellektuellen, die dem „entfesselten Markt“ immer misstraut hat, ist es dessen destruktive Dynamik, die erst die Weltwirtschaft, dann die Staatsfinanzen, ja sogar die Demokratie gefährdet.
Der Liberalismus ist nicht unschuldig an seiner misslichen Lage. Zu viele seiner Anhänger haben in den vergangenen Jahrzehnten die Theorie von Markt simplifiziert und zu einer Apologie verflacht. Die Funktionsweise des Marktes als eines dezentralen Koordinators wirtschaftlicher Aktivitäten, der notwendige Rahmen sowie das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind von den großen liberalen Denkern über die Jahrhunderte nuanciert und auch kontrovers diskutiert worden. Den Liberalismus im Singular gibt es eigentlich gar nicht, sondern verschiedene Liberalismen aus unterschiedlichen philosophischen Traditionen. Vor allem zur Frage der Rolle des Staates gibt es weitreichende Unterschiede zwischen dem klassischen Liberalismus und den „neoliberalen“ Schulen in Freiburg, Wien und Chicago im zwanzigsten Jahrhundert.
Adam Smith und der „Wohlstand der Nationen“
Unsere Reise in die Ideengeschichte führt uns zunächst ins Schottland des achtzehnten Jahrhunderts. Adam Smith (1723 bis 1790), der Gründervater der marktliberalen Wirtschaftstheorie, führt mit seinem epochalen Werk „Der Wohlstand der Nationen“ einen Frontalangriff auf den damals praktizierten Merkantilismus, ein interventionistisches und protektionistisches Wirtschaftssystem. Smith erkennt, dass diese Politik zwar den privilegierten Herstellern und Händlern hilft, aber nicht den Gesamtwohlstand erhöht. Stattdessen fordert er Freihandel. Nicht der Staat kennt die produktivste Verwendung der Ressourcen, vor allem des Faktors Arbeit, sondern jeder einzelne Wirtschaftende weiß eher, wo wirtschaftliche Vorteile und Verbesserungsmöglichkeiten liegen.
Wer sein Kapital so einsetzt, dass es für ihn den höchsten Ertrag bringt, steigert das Volkseinkommen. Markt und Wettbewerb sorgen wie eine „unsichtbare Hand“ für eine höhere Allokationseffizienz. Sie kanalisieren das einzelwirtschaftliche Gewinnstreben in die Richtung des allgemeinen Nutzens. Der Wohlstand der Nationen wächst durch steigende Produktivität, durch Arbeitsteilung und Spezialisierung, die umso tiefer geht, je größer die Märkte werden. Damit ist Smith ein früher Theoretiker der wohlstandssteigernden Effekte der Globalisierung.
Die Rolle des Staates sieht er eng begrenzt: Verteidigung und innere Sicherheit, eine Justiz, die Eigentums- und persönliche Rechte schützt, Infrastruktur sowie das Schulwesen zählt er zu den Kernaufgaben des Staates. Ansonsten fordert Smith staatliche Zurückhaltung. Sein wirtschaftspolitisches Programm, das „System der natürlichen Freiheit“, entspricht jenem „Laissez-faire“, das im neunzehnten Jahrhundert zum Schlachtruf der Wirtschaftsliberalen wird. Gewerbe werden dereguliert, Märkte geöffnet. Nur die steile wirtschaftliche Entwicklung während der „Industriellen Revolution“ ermöglicht es, die rasant steigende Bevölkerung zu ernähren. Nach Überzeugung von Richard Cobden, dem großen Freihandelsaktivisten, förderte der internationale Handel auch den Frieden.