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Wendephasen deutscher Kunst : Neomanierismen der Teilung

Arno Rink 2005 in seinem Atelier in Leipzig Bild: dpa

Im Gegensatz zu den westdeutschen Nachbarn blieb die ostdeutsche Kunstszene kurz vor und nach der Wiedervereinigung ihrem Stil treu. Über die erstaunlichen Wendephasen der deutschen Malerei.

          4 Min.

          Soll eine einzige prägende Gestalt der Malerei seit der Wiedervereinigung genannt werden, würden die meisten Deutschen wohl ohne Zögern den Leipziger Maler Neo Rauch nennen. Niemand von den Lebenden außer Gerhard Richter erzielt höhere Preise, niemand wird – und zwar weit über die nach Rauch benannte „Neue Leipziger Schule“ hinaus – in den aktuellen Meisterklassen auch der bundesdeutschen Kunsthochschulen wie auch den Galerien häufiger kopiert; bisweilen sieht man in Straßen und Ladenzeilen mit hoher Galeriendichte in jedem zweiten Schaufenster einen Rauch-Epigonen. Auch Bühnenbild und Kostüme von Wagners „Lohengrin“ im von der ostdeutschen Kanzlerin so geliebten Bayreuth gestalteten 2017 Rauch und seine Frau Rosa Loy. Ein gesamtdeutscher Erfolg also, ähnlich den ersten gemeinsam bestrittenen Olympischen Spielen mit ihrem damaligen Goldregen?

          Stefan Trinks
          Redakteur im Feuilleton.

          Während der Westen ab ’45 wie ein Schwamm sämtliche abstrakten und teils auch verstiegenen Moden der Kunst aus Amerika übernahm, malte der Osten beharrlich figürlich-gegenständlich, vielfach mit Rückgriffen auf die Alten Meister und in handwerklicher Bravour. Dabei war ein Teil der Maler zwar brav staatstragend-abbildend; der Rest jedoch verbarg vor aller Augen Subversiv-Ambivalentes gerade in einer vermeintlich klar zu durchschauenden Formensprache, die alles zeigt, aber nichts eindeutig sagt. Wie in einer Zeitkapsel gelangte das Beste der Vorkriegsmalerei durch die Jahre der DDR in die Zeit nach 1990. Doch auch bei Rauchs Erfolgsgeschichte wird immer wieder dessen Lehrer und damit eine „Zwischengeneration“ ostdeutscher Maler der Uneindeutigkeit vergessen, die diesen keinesfalls aus dem Nichts kommenden Siegeszug des Figürlichen in den späten Neunzigern erst möglich machte: Arno Rink. Würde man bei dessen Bild „Terror II“ im Leipziger Museum der Bildenden Künste nicht auf das Etikett schielen, wo als Entstehungsdatum „1978/79“ zu lesen ist, könnte man es für einen Neo Rauch aus dessen aktuellem Schaffen halten.

          Desolate Befindlichkeit

          Nach dem bleiernen Herbst der Bundesrepublik entstanden, fängt Rinks Bild die zutiefst beklemmende Atmosphäre dieser Zeit auch in der DDR ein: Am linken Rand hängt ein nackter Gefolterter kopfüber nach unten. Drei Menschen im Bildzentrum werden von einer schwer gepanzerten Ordnungsmacht mit Schilden vor sich hergetrieben und stolpern nach rechts, wobei ein Wasserwerfer der Polizei zum Farbwerfer wird, weil der Schwall weißer Flüssigkeit nicht wie Wasser wirkt, vielmehr dickflüssig als Farbe auf den Mann in Schwefelgelb am Ende des Trios mutmaßlicher Demonstranten prallt und herunterläuft. Der Raum, in dem die Gewalt stattfindet, bleibt undefiniert; geborstene Balken von offenbar eingestürzten Bauten oder Resten von Barrikaden ragen überkreuzt hinter den Schultern der Frau an der Spitze des kleinen Zugs auf, so dass sich der optische Eindruck einstellt, als schleppe sie ein Kreuz wie Christus bei der Passion. Auferstehen wird aus diesen Ruinen kaum etwas. Wenn der weite Raum das gesamte Land spiegelt, ist die Befindlichkeit des Landes desolat.

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