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Antisemitismus der Documenta : Abhängen!

  • -Aktualisiert am

Antisemitische Stereotype wie im „Stürmer“: Ein Ausschnitt des Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem zentralen Friedrichsplatz. Bild: dpa

Vorige Woche noch hielt die hessische Kulturministerin Dorn Warnungen vor Antisemitismus auf der Documenta 15 für abwegig. Nun ist sie geläutert.

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          Die ausschwärmenden Antisemitismuskunst-Detektive werden auf der Documenta 15 immer fündiger, von einem einzigen Ausrutscher kann inzwischen nicht mehr die Rede sein. Neben den unsäglichen antiisraelischen Vergleichen der im April 1937 von Nationalsozialisten ausgelöschten baskischen Stadt Guernica mit dem angeblich vom Staat Israel annihilierten Gaza-Streifen und seinen Einwohnern auf gleich mehreren Bildern des Palästinensers Mohammed Al Hawajiri, tauchten in Kassel nun auch explizit antisemitische Stereotype auf.

          Im figurenreichen Gewimmel eines mehrere Meter groß auf dem zentralen Friedrichsplatz aufgespannten Protestbanners des indonesischen Kollektivs Taring Padi erscheint lebensgroß und kaum zu übersehen auf der Seite des Bösen direkt hinter einem gehörnten Satan ein antijüdisches Zerrbild, wie es auch nationalsozialistische Propagandapublikationen wie der „Stürmer“ in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nicht anders gezeichnet hätten: Dort steht geschützt hinter einem Riegel aus Polizisten ein rauchender Geschäftsmann mit Hakennase, spitzen Tierohren, wölfischen Reißzähnen sowie mit blutunterlaufenen Augen, Brille und Schläfenlocken, als würde sein grellgelbes Sakko-Revers – die Signalfarbe also, die Juden im Mittelalter tragen mussten, nicht schon ausreichen. Auf seinem Hut aber prangt unverkennbar das Doppelrunen-Zeichen der SS.

          Gerechtigkeit widerfährt hier nicht jedem: Der gesamte „Justice“-Banner des indonesischen Kollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz.
          Gerechtigkeit widerfährt hier nicht jedem: Der gesamte „Justice“-Banner des indonesischen Kollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz. : Bild: dpa

          Ähnlich wie der Zyklus „Guernica Gaza“ von Mohammed Al Hawajiri im Documenta-Standort WH 22 setzt damit das Protestbanner von Taring Padi einen Juden mit der nationalsozialistischen SS gleich und weist ihm als Strippenzieher hinter der Polizeimacht und dem Satan auch noch die Rolle des „internationalen Finanzjuden“ zu, ein uraltes Stereotyp aus dem Bildkatalog des Antisemitismus. Zusätzlich wird der gezeigte Jude mit den tierischen Gesichtszügen entmenscht.

          Ein noch schlimmeres Zerrbild in Hinsicht auf Entmenschung ist auf demselben Banner in der Polizeiriege zu sehen: Ein Schwein mit Rüssel und einem mit „Mossad“, dem israelischen Geheimdienst, beschrifteten Helm. Als wäre das nicht deutlich genug, prangt auf seinem blutroten Halstuch auch noch ein Davidstern in Schwarz. Damit reiht sich das Kollektiv direkt in die schändliche Ikonographie-Geschichte der Judensau ein, die in Wittenberg, Worms, Regensburg, Köln und vielen anderen deutschen Städten eine immerwährende Mahnung an die visuelle Vorbereitung von Pogromen bildet. Jetzt also auch in Kassel.

          Rascher Sinneswandel der Politik

          Die hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn, die vergangenen Mittwoch in ihrer Eröffnungsrede für die Presse diese noch für angeblich unsubstanziierte Anklagen und geäußerte Klagen heftig gescholten hatte, hat plötzlich auch den „persönlichen Eindruck, dass hier eine antisemitische Bildsprache vorliegt“. Sie habe deshalb umgehend mit der Generaldirektorin der Documenta Sabine Schormann, Kontakt aufgenommen „mit dem Ziel, schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen, gegebenenfalls auch unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten für Antisemitismus aus der Wissenschaft“. In diesem Fall braucht es keine Wissenschaftler – die Stereotype sind in Deutschland leider mehr als präsent. Noch ist aus Kassel nicht zu hören, wie Documenta-Generaldirektorin Schormann gedenkt, tätig zu werden. Es kann nur eine Konsequenz geben: Aus dem Ruangrupa-Motto des gepflegten Abhängens namens „Nongkrong“ muss schleunigst ein echtes Abhängen der widerlichen Stereotyp-Bilder werden.

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