Klagenfurt-Kolumne „Wörtersee“ : Als Wehklage war das nicht gedacht
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Gestenreich: Joachim Meyerhoff auf der Bühne in Klagenfurt Bild: dpa
Wer stiehlt den heutzutage noch Bücher? Der Erzähler aus Joachim Meyerhoffs Geschichte, die der Autor und Schauspieler beim Bachmannwettbewerb vortrug. Was die Jury in den Text hineinlas, las der Autor in seinem Schlusswort wieder heraus.
Seit der ORF die Bestuhlung geändert hat - früher standen Bierzeltbänke, wo sich jetzt breite Stühle befinden -, ist das Kärntner Studio hoffnungslos überfüllt. Es gibt einfach zu wenige Plätze für die vielen Besucher des Bachmann-Wettbewerbs, der am Donnerstag mit dem ersten Lesetag begonnen hat. Nicht nur wegen des schönen Wetters versammeln sich Literaturfreunde im ORF-Garten auf den blauen Sonnenstühlen und schauen die Übertragung auf dem Bildschirm an. Manche blättern in der „Ingeborg“, dem „sympathischen Blatt für den Bewerb von heute“, wie eine Zeitung sich nennt, die von der Literaturklasse der Universität Hildesheim täglich produziert wird. Die angespannte Stimmung im dunklen, heruntergekühlten Saal überträgt sich indes kaum hinaus in den heißen Julitag.
Denjenigen, die draußen blieben, sei hier verraten: Tränen gab es am ersten Tag nicht, weder vor Freude noch vor Enttäuschung. Es hagelte keine bösen Verrisse. Aber auch Entdeckungen sind noch keine zu vermelden. Vom Publikum gefeiert wurde gleich der zweite Vortragende, Joachim Meyerhoff, den viele als Burgschauspieler kennen, der aber schon zwei Romane geschrieben hat, zuletzt den furiosen Erzählreigen „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, in dem er seine Kindheit beschreibt, die Meyerhoff in der Jugendpsychiatrie Schleswig verbrachte, in der sein Vater Direktor war.
Das letzte Wort hatte der Autor
Den klug auf Effekte und Pointen abgestimmten Text trug der Schauspieler mit Verve und dem ganzen Einsatz von Stimme und Mimik vor. Der Geschichte eines mit dem Autor offenbar ziemlich identischen Ich-Erzählers, der mit zweiundzwanzig Jahren in eine Buchhandlung einen Fotoband stiehlt und sich danach mit dem Kaufhausdektektiv eine Hetzjagd durch München liefert, folgte man atemlos.
Während die Jurorin Meike Fessmann sich mokierte, „Ich brauche dieses Buch“ klinge nachgerade, als sei der Text wie für Klagenfurt geschrieben, und ihre Kollegin Daniela Strigl sich an grelle, bunte Comics erinnert fühlte, stellte der Juryvorsitzende Burkhard Spinnen die Frage in den Raum: Wer klaut denn heute noch Bücher? Die hohe Anerkennung für Bücher, von der hier die Rede sei, stamme doch aus einer Zeit, als es noch ein Literaturuniversum gab. Die Epoche sei untergangen, als Bücher noch Dinge in sich trugen, die sich heute auf andere Medien verteilt. Als Wehklagen über die verlorene Welt von gestern hatte Meyerhoff seine Geschichte indes nicht angelegt. Das wissen wir, weil er sich nach seiner Rede das Recht erbat, das letzte Wort zur Lesung zu haben. Es wurde ihm von der Jury gewährt. Früher wäre das undenkbar gewesen – aber nicht alles war eben früher auch besser.