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Dieburger Fastnacht : Größter Fastnachtsverein Deutschlands

  • -Aktualisiert am

Gemeinschaftserlebnis: der Karnevalsumzug in Dieburg. Bild: Imago

Dieburg hat den größten Fastnachtsverein Deutschlands. Obwohl die Tradition unter Corona gelitten hat, läuft nach der Pandemie fast alles wieder wie früher. Nur die Finanzierung des Umzugs macht dem Verein Sorgen.

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          Günter Hüttig lacht viel. Muss er auch, denn er ist der Vorsitzende von Deutschlands größtem Fastnachtsverein, dem Karnevalsverein Dieburg 1838 e. V., der demnächst wohl das zweitausendste Mitglied aufnehmen kann. Wie alle anderen Vereine auch haben die Dieburger Fastnachter zwei harte Corona-Jahre hinter sich. Keine öffentlichen Auftritte, keine Büttenreden vor großem Publikum und kein Fastnachtszug, der in Dieburg traditionell am Fastnachtsdienstag durch die Straßen zieht und an diesem Tag als einer der größten Umzüge in Hessen gilt.

          „Plötzlich war das alles weg“, erinnert sich Hüttig an die Zeit und beschreibt das Bemühen des Vorstandes, die Kommunikation innerhalb des Vereins dennoch beizubehalten. Es gab Besprechungen über verschiedene Internetportale, es wurden sogar Vorträge geschrieben, um sie dann online zu präsentieren. Ein großer Erfolg war das Fastnachts-Sommernachtsfest vergangenes Jahr im Schlossgarten. Da haben die Narren ein Stück Fastnacht nachgeholt, die im Februar wegen Corona noch nicht möglich war. Bei diesem Fest hat sich gezeigt, dass die Dieburger auch nach zwei Jahren Pause zu ihrer Fastnacht stehen.

          Die Narren in Dieburg rufen „Äla“

          Dass es ausgerechnet in Dieburg und nicht in den Fastnachtshochburgen wie Mainz oder Köln den größten Fastnachtsverein gibt, mag zunächst verwundern. Doch Günter Hüttig hat eine ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung. In den Fastnachtshochburgen gibt es unzählige Karnevalsvereine, in Dieburg aber nur einen. In den Hochburgen verteilen sich die Narren deshalb auf das große Vereinsangebot, während sich die Narren aus Dieburg und Umgebung im örtlichen Karnevalsverein konzentrieren. „Früher war Dieburg ein gallisches Dorf mit Kurmainzer Einfluss“, blickt der Vorsitzende auf die Fastnachtstradition zurück und lacht.

          Den närrischen Schlachtruf „Helau“ kennt man in Dieburg allerdings nicht. Dort rufen die Narren „Äla“. Und die typischen Mainzer Fastnachtsfarben finden sich bei den Dieburger Narren auch nicht. Sie gehen ihren eigenen Weg. Noch bis 1935 haben die Narren bei den Umzügen in der Region ein dreifaches „Hoch“ gerufen. Die Dieburger erinnerten sich hingegen an ein altes Fastnachtslied mit dem Titel „die Äla, die Äla, die Äla und die Gänserscher, die hawwe lange Schwänzerscher“ und machten daraus ihren Fastnachtsruf. Das Lied gründete auf der Tatsache, dass viele Dieburger Haushalte damals Federvieh hielten, das mit dem Ruf „Äla“ zum Fressen gelockt wurde. Überhaupt die Fastnachtslieder. Von denen gibt es in Dieburg recht viele alte, heimische Lieder, die bei den Fastnachtssitzungen gesungen werden. Selbst in den Kindergärten werden sie schon geübt, damit jeder Dieburger sie später auch beherrscht.

          Trotz allem hat die Fastnachtstradition durch Corona gelitten. Früher war es üblich, dass nahezu jeder örtliche Verein seinen Mitgliedern eine Kappensitzung angeboten hat. Das habe deutlich nachgelassen, erzählt Hüttig. Auch die Fastnachter merken Zurückhaltung. „Dass acht Sitzungen innerhalb von 30 Minuten ausverkauft sind, gibt es heute nicht mehr“, so der Vorsitzende. Freitagssitzungen bietet der Verein nicht mehr an, aber alle anderen seien so gut wie ausverkauft.

          Frage nach der Finanzierung

          Auch die Vorbereitungen für den Dienstagsumzug laufen auf Hochtouren. Während kleinere Vereine im Rhein-Main-Gebiet ihre Fastnachtszüge mangels Anmeldungen abgesagt haben, profitiert Dieburg sogar von dieser Tendenz. Musikvereine, die eigentlich in anderen Orten mitmachen wollten und von den Absagen betroffen sind, melden sich nun in Dieburg und wollen im Umzug mitmarschieren. Auch an Anmeldungen von Fastnachtsgruppen mangele es nicht, sagt Hüttig. In Dieburg gibt es etwa 70 Privatgruppen, die sich jedes Jahr ein Motto wählen, Kostüme schneidern und beim Umzug dabei sind. Das mache den Umzug so bunt und einmalig.

          Doch es stellt sich immer wieder die Frage nach der Finanzierung. Die Behörden machen viele Auflagen, vor allem hinsichtlich der Sicherheit. Aktuell führt Hüttig fast täglich Gespräche, um die Sicherheit des Umzuges sicherzustellen. Barrieren, die verhindern, dass ein möglicher Attentäter mitten in den Umzug fährt, sind ebenso notwendig wie Sicherheitsdienste. Das treibt die Kosten in die Höhe. Der Zuschuss der Stadt sei ausgelaufen, hier gelte es, hart zu verhandeln. Ansonsten finanziert der Verein seinen Umzug mit dem Verkauf bunter Zugplaketten. 2,50 Euro kostet eine Plakette. Würde jeder Erwachsene, der sich den Zug anschaut, eine solche kaufen, gäbe es keine finanziellen Probleme mehr.

          Die Plakettenverkäufer stehen am Fastnachtsdienstag auf den Hauptzufahrtsstraßen nach Dieburg und bieten die Plaketten an. „Da sind wir Bittsteller“, so Hüttig. Und längst trägt nicht jeder, der am Zugweg steht, eine Plakette. „Dennoch haben alle wieder Lust“, fasst der Vorsitzende die Stimmung vor dem Fastnachtswochenende zusammen und hofft wie beim letzten Umzug vor Corona auf strahlenden Sonnenschein am Fastnachtsdienstag.

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