Mein Abschied von Deutschland
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Seit Thomas Mann München leuchten sah, ist der Süden des Sprachgebiets ein Zufluchtgebiet für Schriftsteller aus dem Norden. Matthias Politycki sucht nun in Wien nach Aufhellung. Bild: dapd
Die Sprache ist mein Handwerkszeug, aber was ihr gerade widerfährt, ist für mich schwer erträglich. Deshalb weiche ich aus an einen Ort, der noch sprachliberal ist: Wien.
Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen so gründlich zu betreiben, bis alle schlechte Laune haben. Das war schon immer so, immer mal wieder. Trotzdem war ich mein Leben lang auf eine, heute würde man vielleicht sagen: postnationale Weise gern ein Deutscher und habe mich in Deutschland zu Hause gefühlt. In den letzten Jahren fiel mir das zunehmend schwerer. Daß ich nun Konsequenzen gezogen habe, hat nichts mit den Themen zu tun, die unser öffentliches Leben seit mehr als einem Jahr so lähmend begleiten. Oder allenfalls insofern, als der Lockdown auch mir jede Möglichkeit nahm, mich durch kleine Fluchten vor der grassierenden Unduldsamkeit vorübergehend in Sicherheit zu wiegen. Nun hilft nur noch die große.
Natürlich ist es keine wirkliche Flucht und erst recht kein Exil. Mit schwerem Herzen gehe ich gleichwohl. Ich weiß, was ich aufgebe. Und daß ich zwar von Deutschland Abschied nehmen kann, niemals jedoch von dem Deutschen, der ich bin. Als Schriftsteller, der von der Freiheit des Gedankens und der Schönheit der Sprache als seinen täglichen Grundnahrungsmitteln lebt, sehe ich jedoch keine Möglichkeit zu bleiben, mag ich durch diesen Schritt auch als Mensch fast all meine Vertrautheiten und Geborgenheiten verlieren.
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