
Microsoft und Google : Tech-Konzerne im KI-Rausch
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So großspurig wie selten: Microsoft-Chef Satya Nadella Bild: AP
Der Chatbot ChatGPT hat die Tür zur Künstlichen Intelligenz aufgestoßen, hinter der die Branche ganz neue Möglichkeiten wittert. Microsoft versprüht neue Angriffslust. Und Google hat viel zu verlieren.
Satya Nadella ist eigentlich nicht als Schaumschläger bekannt. Umso bemerkenswerter war es, wie großspurig der Vorstandschef des Softwarekonzerns Microsoft in dieser Woche auftrat, als er eine neue Version der Suchmaschine Bing vorstellte.
Bing gilt in der Technologiebranche als so etwas wie ein ewiger Verlierer, der seit Jahren neben dem weit enteilten Marktführer Google nur ein paar Krümel vom lukrativen Geschäft mit der Internetsuche abbekommt. Bisweilen wurde die Suchmaschine als Beleg angeführt, wie Microsoft in wichtigen Märkten Trends verschläft oder den Anschluss verpasst.
Und doch sprach Nadella jetzt mit einem Selbstbewusstsein, wie es der mickrige Marktanteil von Bing nicht rechtfertigen würde. In unmissverständlicher Anspielung auf Google tönte er, die nächste Bing-Generation werde ein neues Rennen in der Internetsuche eröffnen. Es war eine verwegene Kampfansage, denn was er nun ein Rennen nennt, scheint eigentlich seit Jahren entschieden, und zwar zugunsten von Google.
Das Potential von KI ist greifbar geworden
Der Zauberbegriff, auf den Nadella setzt, heißt Künstliche Intelligenz (KI). Der sensationelle Erfolg des KI-Sprachmodells ChatGPT hat eine Tür aufgestoßen, hinter der die Technologiebranche ganz neue Möglichkeiten wittert. Mit diesem Textroboter, der Anfragen verschiedenster Art in oft erstaunlicher Qualität beantwortet, ist das Potential von KI für die breite Masse greifbar geworden.
ChatGPT und ähnlichen Technologien wird eine disruptive Kraft zugetraut, wie sie einst Googles Suchmaschine und Apples iPhone hatten. In der Branche verbreitet sich das Gefühl, dass epochale Veränderungen in der Luft liegen, vor denen kein noch so dominant erscheinendes Unternehmen sicher ist.
Es stellt sich nun als weitsichtiger Glücksgriff heraus, dass Microsoft schon im Jahr 2019 in den ChatGPT-Hersteller Open AI investiert und sich damit ersten Zugriff auf dessen KI-Technologien gesichert hat. Ein Ergebnis dieser Allianz ist die mit einer Variante von ChatGPT aufgerüstete Neuauflage von Bing.
Dieser Vorstoß trifft Google in einem verwundbaren Moment. Der Internetgigant macht den Eindruck, vom Rummel um ChatGPT kalt erwischt worden zu sein, und er versucht nun mit Macht, seinen Führungsanspruch zu unterstreichen.
Für Google steht viel auf dem Spiel
Es hatte fast etwas Überstürztes, als er vor wenigen Tagen sein eigenes Sprachmodell Bard vorstellte und ankündigte, seine neuesten KI-Technologien auch in seiner Suchmaschine einzusetzen. Google dürfte es ärgern, nach dem Coup von Open AI in der Rolle des Verfolgers zu sein. Der Konzern wähnte sich an der Spitze des KI-Feldes, er hat bahnbrechende Forschungsarbeit geleistet, auf der ChatGPT sogar basiert. Er hat aber auch besonders viel zu verlieren.
Die neuen Sprachmodelle werfen Fragen nach der Zukunft traditioneller Suchmaschinen und somit Googles wichtigster Einnahmequelle auf. Diese Goldgrube zu bewahren spielt in Googles Kalkül gewiss eine große Rolle. Open AI musste sich solche Gedanken nicht machen und konnte deshalb leichter voranpreschen. Nun, da der Damm gebrochen ist, meint Google offenbar, sich kein Zögern mehr leisten zu können.
Der gegenwärtige KI-Rausch in der Technologiebranche geht weit über Google, Open AI und Microsoft hinaus. Auch Facebooks Mutterkonzern Meta, der wie Google schon lange auf diesem Gebiet aktiv ist, verspricht größere Initiativen, der chinesische Tech-Gigant Baidu will ein Sprachmodell herausbringen, und es gibt etliche Start-up-Unternehmen mit ambitionierten KI-Projekten. Diese Euphorie ist umso auffälliger in einem ansonsten sehr tristen Branchenumfeld, das viele Unternehmen zur Entlassung Tausender von Mitarbeitern veranlasst hat.
Es weckt auch berechtigte Sorgen, wenn KI-Systeme nun auf die breite Masse losgelassen werden. Nicht nur, weil sie noch sehr anfällig für Fehler sind, sondern auch, weil die Diskussion über ihre möglichen Kehrseiten noch am Anfang steht, also zum Beispiel inwiefern sie Urheberrechte aushebeln oder zur Verbreitung von Falschinformationen beitragen können. Auf die anfängliche Begeisterung wird womöglich manche böse Überraschung folgen.
Wer die Gewinner und Verlierer in diesem Geschäft sein werden, lässt sich heute kaum abschätzen. Und ein etwaiger Startvorteil muss nicht viel bedeuten. Open AI mag das Unternehmen der Stunde sein und damit auch Microsoft an die vorderste Front bringen, aber in diesem frühen Stadium ist das nicht unumstößlich. Sicher scheint nur eines: KI-Technologien haben das Zeug dazu, die etablierten Machtverhältnisse in der Branche zu erschüttern.