Französische Mode der Neunziger : Uniform gegen Pornochic
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Weniger ist mehr: Thierry Muglers luftige Kreation für das Mode-Megajahr 1997 Bild: Palais Galliera
Fashion wie ein Urknall: Der Palais Galliera in Paris zeigt eine Ausstellung über den Chic des Jahres 1997, in dem die Mode zur Kunstform erhoben wurde
Das Pariser Modemuseum Palais Galliera richtet im Moment eine Schau über das Jahr 1997 aus. Warum nicht 1969 oder 2012? Nun, 1997 war das Jahr eines „Fashion Big Bangs“ – so der Untertitel der Schau. Die kosmologische Metapher stammt aus der Zeitschrift „Vogue“: Mittels achtunddreißig Schlüsselmomenten – „Ernennungen, erste Defilees, erste Kreationen, wegweisende Kollektionen, Einweihungen, Geburtstage, tragische Tode, markante Einschnitte“ – suchen die drei Galliera-Kuratoren das Bild vom Urknall zu beglaubigen.
Zunächst vier Grundcharakteristiken des Modejahrs 1997: Erstens kam es in dieser Zeit zu einem an die Welt des Fußballs gemahnenden Rausch von Transfers und Ernennungen. LVMH, schon damals der weltgrößte Luxusgüterkonzern, erneuerte die künstlerischen Direktionen seiner Marken Céline, Christian Dior, Givenchy, Loewe und Louis Vuitton und stellte junge Angelsachsen an ihre Spitze: Michael Kors, John Galliano, Alexander McQueen, Narciso Rodriguez beziehungsweise Marc Jacobs. Die Häuser Chloé, Guy Laroche, Hermès und Lanvin verpflichteten ihrerseits Stella McCartney, Alber Elbaz, Martin Margiela respektive Cristina Ortiz.
Zweitens erhielt die altersschwache Haute Couture 1997 eine Transfusion jungen Bluts, die sie wieder knackig und begehrenswert machte. Die Suche nach einem Nachfolger für Gianfranco Ferré als Designer der Dior-Damenkollektionen hatte 1996 gewaltiges Interesse hervorgerufen: Azzedine Alaïa, Martine Sitbon, Vivienne Westwood, Thierry Mugler und Jean Paul Gaultier bewarben sich offiziös, wo nicht gar offiziell. Die beiden Letztgenannten lancierten, nachdem schließlich Galliano bei Dior ernannt worden war, ihre eigene Haute-Couture-Linie – und zwar jeweils mit einem egalitaristischen Einschlag: Gaultier zeigte im selben Defilee Damen- und Herrenmodelle, Mugler mischte Couture- und Prêt-à-porter-Kreationen.
Drittens erkämpfte sich die Mode in jener Zeit ihren Status als Kunstform, wovon im Jahr 1997 unter anderem die Wiedereröffnung des Musée de la mode et du textile im Louvre und die Gründung der wissenschaftlichen Zeitschrift „Fashion Theory“ in New York zeugten. Viertens und endlich erschlossen sich Designern in jenem Jahr neue, eminent zukunftsträchtige Kanäle der Verbreitung oder Mediatisierung: Der Concept-Store (mit der Eröffnung der bald weltweit ausstrahlenden Boutique Colette in Paris), das Fernsehen (mit dem österreichischen Kanal „Fashion TV“) und das Internet (mit der französischen Website „FashionLive.fr“, die „Style.com“ und „Vogue Runway“ vorwegnahm).
Erst nackt, dann im Tschador auf dem Laufsteg
Greifen wir einige der Positionen heraus, deren Echo im Jahr des Urknalls den Äther erzittern ließ. Erstaunlich viele der Mode-Revolutionäre zollten damals der Vergangenheit Respekt. Yohji Yamamoto verneigte sich in seiner „Hommages“ betitelten Kollektion vor Jacques Fath, Gabrielle Chanel und Christian Dior. Gaultier spielte in seinem erste Haute-Couture-Defilee auf jene der Zwischenkriegszeit an: Das Dekor eines Salons, die Prozession der Mannequins, die Stimme einer Ansagerin. Andere nahmen Anleihe bei Geschichte und Mythologie: Gianni Versace bot in seinem überwiegend in Schwarztönen gehaltenen Schwanengesang einen Mix aus Japan und Byzanz, Alexander McQueen ließ in seiner ersten Kollektion für Givenchy unter dem Titel „Auf der Suche nach dem Goldenen Vlies“ mythologische Kreaturen paradieren.