
Seltsames Wörterbuch : Einmal Pizza Schlafsack, bitte
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Die Würde des Unverständlichen: Monika Rinck beschwört sie, hier zeigt sie sich bei einer Demonstration in Bangkok Bild: AFP
Begriffe ordnen und erklären das Leben - oder? Bei Kataplomben, Erektolollern und Steuerbraterinnen ist das nicht gesagt. Zur Poetisierung der Welt trägt Monika Rincks Online-Projekt „Begriffsstudio“ jedenfalls bei.
In der wirklichen Welt helfen Begriffe, die Dinge klarer zu sehen. Zum Beispiel bei der Frage, was den Aufstand vom Putsch unterscheidet, was den Arzt von der Ärztin. Manche glauben gar, was wir Wirklichkeit nennen, sei in Wirklichkeit nur durch Begriffe vermittelt und „Geschichte“ womöglich nur die Geschichte unserer Erkenntnis der Begriffe (so Gottlob Frege). In der Poesie scheiden sich an Begriffen die Geister. Peter Handke sagte in Anlehnung an Thomas Bernhard, wenn ihm beim Schreiben „auch nur der Ansatz eines Begriffs“ auftauche, weiche er aus „in eine andere Richtung, in eine andere Landschaft, in der es noch keine Erleichterungen und Totalitätsansprüche durch Begriffe gibt“.
Die Dichterin Monika Rinck sieht das wohl anders. Denn seit fast zwanzig Jahren betreibt sie ein „Begriffsstudio“, das inzwischen fast viertausend Einträge hat und online fortgeführt wird. Es finden sich darin Begriffe wie „Antiquarium“, „Erektololler“, „Kataplomben“ und „Proustekuchen“, ferner auch so rätselhafte wie „Pizza Schlafsack“, „Gruppenbikini“, „fear phone“ und „Droste Zoom Séance“. Woher kommen diese Begriffe? Es seien, heißt es, „Erinnerungen an Situationen, an Lektüreerlebnisse, an die Gespräche und Momente, denen sie entsprangen – und Dinge, mit denen sie aus guten oder undurchsichtigen Gründen sich verknüpften“ – aha!
Auch die jeweilige Erläuterung bringt nicht immer Erleuchtung. Unter „Steuerbraterin“ etwa lesen wir nur: „Watt jibbtitt? Frittierte Abgaben. Ditt jibbtitt.“ Die Gefahr des Totalitätsanspruchs besteht beim Begriff der Steuerbraterin ziemlich sicher nicht; auch ob er Erleichterung bringt, ist fragwürdig. Von daher muss Rinck sich um die Kritik Peter Handkes nicht sorgen. Vielleicht wünscht sie sich ja dasselbe wie er: nämlich eine Poetisierung der Welt, ein Wahrnehmen außerhalb der Kategorien, die uns ständig eingedrückt werden. So ein poetisches Denken ist heute schon ein subversiver Akt angesichts furchtbarer Büro- und Agentursprache überall.
Auffällig ist indes, dass viele Einträge bei „begriffsstudio.de“ noch ohne Erläuterung sind. Irgendwo gibt es sie offenbar schon, und sei es nur im Kopf der Autorin, sie warten auf Füllung mit Sinn oder subversivem Unsinn. Ist das also nur der Zettelkasten all jener Ideen, die getreu der Schreibschul-Maxime „kill your darlings“ bislang nicht in literarischen Werken unterzubringen waren? Oder ist der Zettelkasten selbst ein Werk, in diesem Fall sogar ein kollektives? Das bleibt eine Frage für das Entenorakel, mit dem Monika Rinck sich jüngst in ihrer – auch begriffskritischen – Frankfurter Poetikvorlesung für die Würde des Unverständlichen aussprach. Sicher ist: Solange kultivierten Menschen noch Begriffe wie „Kulturbereich“, „Rocklegende“ oder „Ausnahmeschauspieler“ über die Lippen gehen, kann ein Gang ins Begriffsstudio gar nicht schaden.
