Hugo van der Goes in Berlin : Als die Kunst zu zaubern begann
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Eine Treppe aus Gesichtern, die zum Kind in der Krippe führt: Die „Geburt Christi“ malte Hugo van der Goes um 1480 als Laienbruder im Kloster Bild: Gemäldegalerie/SMB
Er schuf ein Inventar burgundischer Kostbarkeiten: Eine Berliner Ausstellung zeigt das Werk des spätgotischen Malers Hugo van der Goes.
Am 5. Januar 1477 starb der burgundische Herzog Karl in der Ebene vor Nancy durch einen Hellebardenhieb. Karl, den seine Anhänger „den Kühnen“ nannten, hatte versucht, die lothringische Hauptstadt zurückzuerobern, die ihm von einem Bündnis aus elsässischen und eidgenössischen Städten unter dem Oberbefehl des Lothringerherzogs René entrissen worden war, und dabei die Stärke seiner Gegner unterschätzt. Sein nackter und entstellter Leichnam wurde zwei Tage nach der Schlacht im Schnee gefunden, sein weit verzweigtes Reich in kurzer Zeit zwischen den österreichischen Habsburgern und den französischen Valois aufgeteilt.
Im selben Jahr trat der Genter Maler Hugo van der Goes als Laienbruder in ein Augustinerkloster in der Nähe von Brüssel ein. Hugo war der bekannteste Künstler der Stadt; zwei Jahre lang hatte er die Lukasgilde geleitet, die Vereinigung der Genter Maler, in die er 1467 als Meister eingetreten war. Bei der Prunkhochzeit Herzog Karls mit Margareta von York im Juli 1468 gehörte er zu den Künstlern, die der Herrscher nach Brügge berief, damit sie seine Feier dekorierten, und auch auf einer burgundischen Regimentsfahne, die die Schweizer Bürgerwehren 1476 bei Grandson erbeuteten, ist seine Handschrift nachweisbar. Zudem nahm Hugo einen Auftrag mit ins Kloster, den ihm eine Schlüsselfigur des Burgunderreiches erteilt hatte.
Tommaso Portinari, Vertreter und Teilhaber der Medici-Bank am Hof in Brügge, war Karls wichtigster Kreditgeber und Finanzier der herzoglichen Feste und Feldzüge. Als der Herzog sein Heer und sein Leben verlor, brach auch Portinaris Position zusammen. Von den Medici entlassen, ging er 1478 nach Florenz zurück, um wenigstens seinen Ruf zu retten. Auf den linken Flügel des Stifteraltars, den Hugo van der Goes um 1480 im Kloster vollendete, ist Portinaris Kopf nachträglich in das Gemälde eingefügt, während die Porträts seiner Söhne, seiner Ehefrau und seiner ältesten Tochter gleichzeitig mit allen übrigen Figuren entstanden sind.
Der Portinari-Altar der Uffizien, dessen Aufstellung in Florenz im Sommer 1483 eine Sensation auslöste und den Siegeszug der Ölmalerei in Italien einläutete, gehörte zu den zwei oder drei Werken Hugos, die nicht in der Van-der-Goes-Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie gezeigt werden. Alle übrigen sechzehn ihm zugeschriebenen Gemälde und Zeichnungen sind in Berlin versammelt – wobei nicht auszuschließen ist, dass einzelne Zuschreibungen wie etwa beim Frankfurter Marientriptychon oder der Marter des Hippolytus aus Brügge in Zukunft noch revidiert werden. Mehr als dieser Torso eines Lebenswerks und der Schatten, den es in zahlreichen Kopien nach verlorenen Originalen wirft, ist von dem berühmtesten flämischen Maler seiner Generation, der dritten nach Jan van Eyck und Rogier van der Weyden, nicht erhalten.
Und so schmal wie die künstlerische ist auch die schriftliche Überlieferung zu Hugo van der Goes. Der ausführlichste, erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckte Bericht über sein Leben stammt von seinem Mitbruder Gaspar Ofhuys, der erzählt, wie Hugo nach ungefähr fünf Jahren im Kloster auf der Rückkehr von einer Reise nach Köln plötzlich von Wahnvorstellungen befallen wurde, Suizidversuche unternahm und schließlich noch im gleichen Jahr 1482 starb. Die Krankheit, spekuliert Ofhuys, sei dem Maler „aus gütigster Vorsehung Gottes zuteil“geworden, weil sein Stolz „infolge der vielen ihm erwiesenen Ehrungen“, etwa durch den Habsburgerherzog Maximilian, so geschwellt gewesen sei, dass er einer Demütigung bedurfte.