Reihe „Mein Fenster zur Welt“ : Der Preis der Oliven
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Sind Oliven die passende Henkersmahlzeit? Bild: Richard Fraunberger
Die Welt geht unter und unser Autor wollte eigentlich Pizza essen. Doch Pizza gab es nicht: nur Oliven.
Die Welt geht unter, und ich esse Oliven. Ursprünglich wollte ich Pizza, aber als ich ins Lebensmittelgeschäft kam und all die leeren Regale sah, wusste ich, dass ich Pizzateig und Tomatensauce vergessen konnte.
Ich versuchte, die Kassiererin am Express-Band anzusprechen, eine ältere Dame, die gerade mit jemandem auf Spanisch über ihr Smartphone skypte, aber sie antwortete, ohne auch nur aufzublicken.
Sie sah verzweifelt aus. „Sie haben alles weggekauft“, murmelte sie. „Außer Slip-Einlagen und Gemüsekonserven ist nichts mehr da.“ Das Einzige, was auf dem Gemüsekonservenregal noch stand, war ein einzelnes Glas mit paprikagespickten Oliven, meine Lieblingssorte.
Als ich zum Express-Band zurückkam, war die Kassiererin in Tränen ausgebrochen. „Er ist wie ein kleiner Laib Brot“, sagte sie, „mein süßer kleiner Enkel. Ich werde ihn nie mehr sehen, ich werde ihn nie mehr riechen, ich werde meinen Liebling nie mehr umarmen können.“

Constanze Becker liest : Der Preis der Oliven
„Es kostet sie eine Umarmung.“
Statt zu antworten, stellte ich das Glas aufs Transportband und zog einen Fünfziger aus meiner Tasche. „Geht schon in Ordnung“, sagte ich, als ich sah, dass sie den Schein nicht annehmen wollte, „ich brauche kein Wechselgeld.“ „Geld?“, sagte sie mit einem Schnauben. „Die Welt geht unter, und Sie bieten mir Geld an? Was soll ich denn Ihrer Meinung nach damit anfangen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will diese Oliven wirklich haben. Wenn fünfzig nicht genug sind, zahle ich mehr, was immer Sie verlangen.“
„Eine Umarmung“, unterbrach mich die tränenüberströmte Kassiererin und breitete ihre Arme aus: „Es kostet sie eine Umarmung.“
Jetzt sitze ich auf meinem Balkon, schaue fern und esse Käse und Oliven. Es war schwierig, den Fernseher hier herauszubekommen, aber wenn es denn so sein soll, gibt es keine bessere Weise zu sterben als unter einem sternenübersäten Himmel und vor einer miesen argentinischen Serie. Es läuft Folge 436, und ich kenne keine einzige der Figuren. Sie sind wunderschön, sie sind gefühlvoll, sie schreien sich gegenseitig auf Spanisch an. Untertitel gibt es nicht, weshalb schwer zu verstehen ist, warum sie sich anschreien.
Ich schließe meine Augen und denke an die Kassiererin im Lebensmittelgeschäft. Als wir uns umarmten, versuchte ich mich klein zu machen, wärmer zu sein, als ich es wirklich bin.
Ich versuchte so zu riechen, als wäre ich gerade erst geboren.
Etgar Keret, geboren 1967, ist Schriftsteller und lebt in Tel Aviv. Aus dem Englischen von Andreas Platthaus