Riesenseerosen : Beim Internet-Surfen eine neue Pflanzenart entdeckt
- -Aktualisiert am
Victoria boliviana in den Llanos de Moxos, Provinz Beni, Bolivien Bild: Carlos Magdalene, RBG Kew
Die Botanischen Gärten im englischen Kew waren schon immer stolz auf ihre Riesenseerose Victoria amazonica. Genanalysen bestätigen nun Vermutungen einer neuen Art.
Wie viele Pflanzenarten der Wissenschaft bekannt sind, ist gar nicht so einfach zu sagen. Laut einer Statistik der Royal Botanical Gardens im Londoner Stadtteil Kew sind aktuell 1.064.035 Pflanzennamen mit lateinischer Art- und Gattungsbezeichnung aktenkundig. Davon sind aber nur 350.699 als eindeutig akzeptiert und mindestens 470.624 Synonyme – weil da dasselbe Grünzeug mehrfach von verschiedenen Forschern beschrieben und benannt wurde. Gelegentlich stellt sich aber auch heraus, dass ein Name für Pflanzen vergeben wurde, die eigentlich zu zwei unterscheidbaren Arten gehören.
Ungewöhnlich ist, wenn das bei einem derart kultigen Gewächs passiert wie der Riesenseerose Victoria amazonica. Bei eben dieser Art haben Forscher der Kew Gardens zusammen mit Fachkollegen aus Bolivien nun in einer am Montag erschienenen Veröffentlichung in den „Frontiers of Plant Science“ herausgefunden, dass es zwei verschiedene Arten sind.
Dabei geht es, wie gesagt, hier nicht um irgendeine Pflanze. Als man die Gattung Victoria 1837 wissenschaftlich beschrieb und nach der damals blutjungen englischen Königin benannte, sicherte das der britischen Botanik königliche Patronage und trug auch dazu bei, dass man von der geplanten Schließung der Kew Gardens absah. Dort gelang auch die erste Kultivierung der enormen Seerose in einem europäischen Tropenhaus und konnte als Glanzleistung britischen Gärtnertums gefeiert werden.
Bereits anno 1837 unterschied man dabei zwei Arten: die eher im nördlichen Amazonasbecken und in Guyana vorkommende V. amazonica und V. cruziana von weiter südlich aus Paraguay und Argentinien. Doch 2006 kamen dem in Kew tätigen spanische Botaniker Carlos Magdalena Zweifel, als er im Internet ein Bild einer angeblichen V. amazonica aus Bolivien sah. „Seither war ich überzeugt, das ist eine neue Art“, erzählte er Reportern der BBC. Zusammen mit der Pflanzenillustratorin Lucy Smith sammelte er daraufhin jahrelang Daten aus Sammlungen und Feldbeobachtungen. „Ich prüfte jedes einzelne Bild, das ich online fand“, sagt er. „Ein Luxus, den die Botaniker des 18., 19. und 20. Jahrhunderts noch nicht hatten.“
Die Forscher ordneten und verglichen nun Merkmale wie die Form der kindskopfgroßen Knospen oder der an amerikanische Pizzableche erinnernden senkrechten Ränder der riesigen Blätter, die verhindern, dass sie sich auf dem Wasser zusammenschieben und sich so das Licht wegnehmen. Auch ließen sie sich Samen aus Südamerika schicken, brachten sie zum Keimen und verglichen die Entwicklung der Pflanzen mit ihren aus Kew. Demnach sah es so aus, als umfasse die Gattung Victoria nicht zwei, sondern vier Arten. Genanalysen offenbarten dann, dass es in Wahrheit drei sind: Die besonders großen Individuen aus einer Gegend namens Llanos de Moxos im Norden Boliviens, die bislang zur Victoria amazonica gezählt wurden, bilden eine eigene Art: Magdalena, Smith und ihre Mitautoren tauften sie Victoria boliviana.
Wie die Genetik auch ergab, sind diese enger mit der V. cruziana verwandt als mit der V. amazonica, zu der man sie bislang gerechnet hatte. Während der letzte gemeinsame Vorfahre aller drei Victoria-Arten vor vielleicht fünf Millionen Jahren existierte, spalteten sich V. cruziana und V. boliviana erst vor einer knappen Million Jahren in zwei Arten auf. Heute ist Victoria boliviana die größte Seerose der Welt. Ihre Blätter können in freier Wildbahn Durchmesser von bis zu drei Metern erreichen, im Botanischen Garten Jardin La Rinconda im bolivianischen Santa Cruz de la Sierra sogar 3,2 Metern, und ein Kind tragen. „Ich bin vielleicht voreingenommen“, sagt Lucy Smith. „Aber ich glaube, sie ist außerdem eine der schönsten Blumen überhaupt.“