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Staatstheater Mainz : Tragödie mit nicht mal tragischem Ende

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Faszinierendes Spiel über ein Leben in glitzernder Mittelmäßigkeit: Anna Steffens (links) und Leandra Endres in Mainz Bild: Staatstheater Mainz

Vom Film zurück ins Theater: Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ist mit herausragenden Darstellerinnen am Staatstheater Mainz zu sehen.

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          Womöglich brauchte es den Umweg über den Film, um aus Rainer Werner Fassbinders 1971 mit mäßigem Erfolg uraufgeführtem Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ einen Erfolg zu machen. Im Film von 1972 spielten unter anderen Hanna Schygulla und Eva Mattes mit, und die artifizielle Bildsprache von Kameramann Michael Ballhaus füllte einiges von der an sich banalen Niedergangsgeschichte einer Modedesignerin mit Bedeutsamkeit.

          Die Darstellerinnen des Staatstheaters Mainz jedenfalls brauchen den Vergleich mit den großen Fassbinder-Diven nicht zu scheuen. Anna Steffens spielt die erfolgreiche Geschäftsfrau mit der unstillbaren Sehnsucht nach Liebe als zerrissene Persönlichkeit. Sie vermag nicht zu erkennen, dass ihr übergroßes Ego jede Glückserfüllung unmöglich macht. Denn die junge Karin Thimm, die sie bei sich wohnen lässt und zum Model ausbildet, erwidert ihre immer stärker werdenden Gefühle keineswegs und wird durch Petras wachsende Eifersucht nicht nur zu Gelegenheitssex mit Männern getrieben, sondern kehrt schließlich ganz zu ihrem Ehemann zurück. Leandra Enders spielt die junge Frau mit fröhlich-unbekümmerter Natürlichkeit, sie ist keine berechnende Karrieristin, einfach nur eine, die ihre Chance genutzt hat und durchaus Sympathie für Petra empfand. Aber auch nicht mehr.

          Pauline Beaulieus Inszenierung im Kleinen Haus, wo das Publikum mit Abstand auf Sofas und mit Kissen halbwegs bequem gemachten Gartenbänken die traurige Geschichte bis zum bewusst nicht einmal tragischen Ende verfolgt, hat neben den gesprochenen Text eine ziemlich unmissverständliche Sprache aus Gesten und Bewegungen gesetzt. Immer wieder kriechen Petra und Karin, aber auch ihre Freundin Sidonie (Kristina Gorjanowna) auf allen Vieren auf dem Laufstegquadrat der Bühne (Hella Prokoph) herum, greifen raubtierartig mit den Händen nacheinander, stoßen mit den Köpfen wie Löwinnen, die ihr Revier verteidigen.

          Glitter und Menschlichkeit

          Dabei spielt die Dienerin Marlene (Catherine Janke) eine zentrale Rolle. Sie ist nahezu die gesamten hundert Minuten des Stücks auf der Bühne, ohne ein Wort zu sprechen, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Stumm befolgt sie sämtliche barsch hingeworfenen Befehle ihrer Herrin, mit der sie zu Beginn ebenfalls im Raubkatzenkampf zu sehen war.

          War sie womöglich auch eine frühere Geliebte Petras, nun heruntergekommen zur Befehlsempfängerin? Nirgends wird das explizit ausgesprochen, aber die wissenden Blicke, mit denen Marlene das Geschehen begleitet, deuten das an. In jedem Fall zeigt Petras Verhalten gegenüber Marlene die dunkle Seite ihres Charakters, die Unfähigkeit zu lieben, ja, auch nur freundlich-freundschaftlich mit den Mitmenschen umzugehen, alle ihre Beziehungen kann sie nur als Machtverhältnisse denken.

          Petra von Kant erkennt am Ende nach einem öden Geburtstagsfest mit ihrer Mutter Valerie (Iris Atzwanger) und ihrer Tochter Gabriele (Sarah Lamesch), dass sie nie lieben, immer nur Menschen besitzen wollte, aber aus dieser Erkenntnis folgt nichts. Die Frau ist wie eingefroren in ihrem mit üppigen Kleidern geschmückten Körper (Kostüme Britta Leonhardt), ihr Entsetzen über ihr leeres Dahinleben äußert sich in einem tonlosen Schrei. Beaulieus konzentrierte Inszenierung kann nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass all diese von äußerem Glitter übertünchte Mittelmäßigkeit nicht wirklich fesselt. Immerhin aber gelingt es ihren hervorragenden Darstellerinnen, die menschlichen Tragödien durchsichtig zu machen.

          „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“
          Nächste Vorstellung am 21. September im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz.

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