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Erdbeben in der Türkei : „Ich hatte mich schon von meiner Frau verabschiedet“

  • -Aktualisiert am

Zwei Betroffene des Erdbebens trauern in Kahramanmaras. Bild: AFP

Eines seiner Kinder war gerade wieder eingeschlafen, als die Erde plötzlich schwankte: Ein Augenzeuge berichtet von den schweren Erdbeben in der türkischen Provinz Kahramanmaras. Sie sei regelrecht ausradiert worden.

          2 Min.

          Herr H., Sie stammen aus dem schwer von mehreren Erdbeben getroffenen Gebiet in der Türkei. Wie geht es Ihnen?

          Julia Anton
          Koordinatorin „Gesellschaft“.

          (mit brüchiger Stimme) Ich bin dankbar, dass meine Familie und ich es lebend hinausgeschafft haben. Ich habe zwei Kinder. Wir sind jetzt in der Provinz Kayseri in Sicherheit. Wir leben eigentlich in Kahramanmaras, das Epizentrum des ersten Bebens war nur 20 Kilometer von meiner Arbeitsstelle entfernt.

          Wie haben Sie das Erdbeben erlebt?

          Ich war ohnehin wach, eines meiner Kinder kann seit Tagen nicht schlafen. Ich hatte es gerade wieder ins Bett gebracht. Um Viertel nach vier, als es endlich eingeschlafen war, spürte ich ein leichtes Beben. Plötzlich habe ich einen Lichtblitz gesehen und ein lautes Geräusch gehört – als würde eine Bombe explodieren. Das erste Beben hat 25 bis 40 Sekunden gedauert. Das zweite kurz darauf war sehr viel länger, ich denke, anderthalb Minuten. Die Kinder fielen aus ihren Betten. Während des ersten Bebens habe ich mich an ein Regal geklammert, weil ich Angst hatte, dass es auf sie stürzen könnte. Beim zweiten Beben habe ich mich schützend über meine Kinder gelegt.

          Konnten Sie danach ins Freie fliehen?

          Durch das zweite Beben hat sich die Tür verkeilt. Unsere Nachbarn haben von außen versucht, uns zu befreien. Ich habe es von innen mit Werkzeug probiert. In der Zeit hat es nochmal ein starkes Nachbeben gegeben. Ich hatte Angst, dass wir das nicht überleben würden. Ich hatte mich schon von meiner Frau verabschiedet. Bis zum Morgen hat es immer wieder Nachbeben gegeben. Auch als wir später nach Kayseri gefahren sind, hat die Erde immer wieder gebebt.

          Wann ist Hilfe bei Ihnen eingetroffen?

          In den ersten fünf, sechs Stunden gab es kaum Hilfe, weder um die Verschütteten noch um die Toten zu bergen. Am Morgen um 8.30 Uhr kam die Feuerwehr und hat uns weggebracht, durch einen Tunnel am Ortseingang, den sie öffnen konnten. Dabei haben wir das Ausmaß der Zerstörung gesehen. Es war, als wäre die ganze Provinz ausradiert worden.

          Können Sie uns näher beschreiben, wie es in Ihrer Stadt aussah?

          Die Erschütterungen haben vieles dem Erdboden gleichgemacht. Von den Apartments auf der anderen Straßenseite steht keins mehr. In einigen Häusern hat es auch gebrannt. Es gibt keine Strom- und Wasserversorgung mehr, und es fehlen Geräte, um die Trümmer zu beseitigen. Der Winter und der Regen verschlimmern die Situation zusätzlich. Wer unter den Trümmern liegt, friert und wird nass. Ein Krankenhaus wurde regelrecht in zwei geteilt.

          Haben Sie davor schon mal ein Erdbeben erlebt?

          Es kam immer mal wieder zu kleineren Beben, mit einer Magnitude von 3 bis 4. Ich habe schon damit gerechnet, dass die Erde wieder bebt. Deshalb hatte ich Walkie-Talkies gekauft und eine Pfeife, damit wir uns im Notfall verständigen und Hilfe holen können. Meine Frau ist außerdem Krankenschwester. Aber das hat alles nichts gebracht. Niemand hat damit gerechnet, dass es so starke Beben geben würde.

          Haben Sie noch weitere Angehörige in der Region?

          Nein, zum Glück nicht. Mein Beruf hat uns dort hingeführt. Aber Freunde von mir mussten aus Trümmern gerettet werden.

          Sie mussten Hals über Kopf Ihr Zuhause verlassen. Was benötigen Sie im Augenblick?

          Meine Familie und ich sind jetzt in Sicherheit. Aber ich mache mir Sorgen um alle, die es noch nicht herausgeschafft haben. Viele sind allein. Sie brauchen dringend Hilfe, Krankenwagen, alles, was möglich ist. Es braucht warme Getränke und Speisen. Und Zelte. Dort sind noch Kinder, Schwangere. Es fehlt an Medikamenten. Es fehlt an so vielem, auch an warmen Schuhen für Kinder. Aber die Helfer müssen vorsichtig sein, es gibt immer noch Nachbeben.

          Unser Gesprächspartner hat aus beruflichen Gründen darum gebeten, anonym zu bleiben.

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