Wer Forst-, Feld- und Gartenarbeiten nach dem lunaren Takt ausrichtet, statt sich auf die moderne Meteorologie zu stützen, lebt vermutlich noch hinterm Mond. Bild: Illustration Charlotte Wagner
Ab in die Botanik : Ob Neu- oder Vollmond, das ist einem Baum ziemlich egal
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Wer glaubt, dass der Mond eine Rolle für die Feld- und Gartenarbeit spielt, kommt schnell in Terminschwierigkeiten und macht sich verdächtig.
Der Christbaum meiner Eltern nadelte schon Heiligabend, obwohl er erst kurz zuvor geschlagen wurde. Die beige Christbaumdecke darunter war Abend für Abend mit grünen Häufchen übersät, der Staubsauger lief und lief. Meine Mutter wollte den Baum gleich nach Silvester vom Balkon werfen, am liebsten in den Nachbarsgarten wie in der Werbung eines schwedischen Möbelhauses. Wer trug die Schuld am Nadeldesaster? Es gab Verdächtigungen und Vermutungen. Nur der Baum stand kahl und schwieg.
Das Thema bloß nicht ansprechen, hatte ich mir an Neujahr vorgenommen, als ich mit den Kindern die Großeltern besuchte. Dann erblickte ich ihn am Ende des Wohnzimmers, direkt am Fenster, bunt und hell, wie der Elefant im Raum, den man nicht sehen möchte. Einfach ignorieren, dachte ich mir, halt die Klappe. „Eigentlich ein hübscher Baum“, entfuhr es mir irgendwann doch, schön pyramidenförmig. Neujahr war gelaufen.
Seither musste ich jeden Tag über diesen Baum nachdenken. Schaute ich in unser Wohnzimmer, sah ich den Baum meiner Eltern, obwohl unserer überhaupt nicht nadelte, aber vom selben Feld stammte. Bis ich in der Lokalzeitung über die Jahresplanung des Revierförsters im Nachbarort las. Der Mann verlasse sich nicht nur auf sein Fachwissen, konnte man da erfahren, sondern auch auf den forstlichen Mondkalender. Je nach Mondphase sei Holz vor Fäule geschützt, erklärte der Förster, und – Achtung! – verlören Tannenzweige weniger Nadeln. War das die Erklärung? Wurde der Christbaum meiner Eltern schlicht am falschen Tag geschlagen?
Mondglaube statt moderne Meteorologie
Folgt man dieser These, macht es nicht nur einen Unterschied, wann man einen Baum fällt, sondern auch, wann man einen setzt oder schneidet. Angeblich ist der ideale Zeitpunkt für das Pflanzen bei zunehmendem Mond im Zeichen der Jungfrau, das Fällen unternimmt man am besten bei abnehmendem Mond mit den Fischen oder bei Neumond. Für die Gartenarbeit im Winter heißt das: Hecken sollten an den letzten Januar- und Februartagen gestutzt werden, damit sie nicht so stark nachwachsen. Exakte Pflanz- oder Fälltermine unterscheiden sich allerdings je nach Lehrmeinung, und schon das verrät den Nonsens, der sich dahinter verbirgt. Einem Baum ist es egal, wie der Mond steht. Man sollte meiner Meinung nach diese Etikettierung glatt als Betrug ächten: Mondholz erzielt deutlich höhere Preise, auch werben manche Hotels mit einer solchen Ausstattung, obwohl der Nachweis einer besonderen Qualität bis heute nicht erbracht werden konnte – mit wissenschaftlichen Methoden, versteht sich. Insofern sollten Gemeinden, deren Forstleute den Wald nach dem Mondkalender bearbeiten, ihre Einstellungskriterien überprüfen. Ist das zu hart? Vielleicht. Die Mondgläubigen, die ich kenne, sind meist bodenständige und erdverbundene Menschen, aber der Glaube an die Einflüsse des Mondes wirkt stärker als wissenschaftliche Fakten. Und hinter dieser Weltanschauung lauern Konflikte, die sich jetzt etwa in Form einer mangelnden Impfbereitschaft zeigen. Das ist aber nicht das einzige Problem: Ich kenne Landwirte, die ihre Arbeit noch immer nach den Mondphasen ausrichten, obwohl die Fortschritte der Meteorologie eine Feldplanung von bis zu einer Woche ermöglichen. Vom Wetter muss heute eben niemand mehr überrascht werden.
Was den Weihnachtsbaum betrifft: Am besten man schlägt ihn kurz vor dem Fest; für Mondgläubige ist in diesem Jahr Heiligabend der perfekte Termin. Starkes Nadeln lässt sich übrigens vor allem dadurch verhindern, dass man im Christbaumständer das Wasser nicht vergisst. Keine Sorge, wird nicht verraten, Papa. Am Montag kam die Müllabfuhr.