„Nudging“ : Motivationshilfen fürs gesunde Essen
- -Aktualisiert am
Bild: dpa
Verhaltensstupser, sogenannte „Nudges“, helfen, schädliche Gewohnheiten aufzugeben. Wie man so Übergewicht vermeidet, fassen Forscher in „Science“ zusammen.
Wie frustrierend es ist, allen guten Diätvorsätzen zum Trotz den kalorienreichen Gaumenfreuden nicht entsagen zu können, dürfte vielen Menschen mit unerfülltem Schlankheitswunsch bekannt sein. Stärker als Absichten sind offenkundig die auf unmittelbaren Lustgewinn abzielenden Begierden. Nur so lässt sich zumindest erklären, weshalb weltweit immer mehr Menschen immer mehr Speck ansetzen. In Deutschland bringen mittlerweile gut zwei Drittel der männlichen und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung zu viele Pfunde auf die Waage. In den Vereinigten Staaten sollen es im Durchschnitt an die siebzig Prozent sein. Am guten Willen, den allenthalben vorhandenen Dickmachern zu entsagen, fehlt es dabei offenbar nicht. Fettarme Nahrungsmittel, Diätrezepte und Schlankheitsmittel jeglicher Natur erfreuen sich jedenfalls gemeinhin großer Beliebtheit.
Um dem weltweiten XXL-Trend Einhalt zu gebieten, reicht es offenbar nicht, nur an die Vernunft zu appellieren. Mindestens ebenso wichtig sei es, die hiervon unabhängigen Handlungstriebkräfte ins Visier zu nehmen, schreiben Forscher um die Psychologin Theresa Marteau von der Cambridge University in Großbritannien in einer Übersichtsarbeit (“Science“, Bd. 337, S. 1492). Die unwillkürlichen Motivationszentren im Gehirn bestimmten unser Tun nämlich sehr viel mehr als gemeinhin angenommen. Bislang stünden diese aber mehrheitlich unter dem - meist wenig gesundheitsfördernden - Einfluss der an hohen Verkaufszahlen interessierten Marktstrategen. Viele Dickmacher landeten nämlich nur im Einkaufskorb, weil sie attraktiv verpackt sind, in der Werbung als begehrenswert dargestellt werden und sich in Reichweite befinden.
Warum scheitern so viele Diäten?
Ob und wie leicht wir solchen Versuchungen erliegen, hängt von etlichen Faktoren ab. Ablenkung ist einer davon. So entschieden sich die Probanden einer Studie der University of Iowa, während einer Rechenaufgabe vor die Wahl zwischen einem Fruchtsalat und einem Schokoladenkuchen gestellt, umso eher für das Zuckergebäck, je mehr ihre Aufmerksamkeit durch die Übung in Anspruch genommen wurde und je weniger Zeit somit zum Nachdenken blieb.
Starke Impulse und Begierden sind freilich nicht der einzige Grund, warum Diätvorhaben oft kläglich scheitern. Eine wichtige Rolle spielen daneben durch Wiederholungen eingeprägte Automatismen. Wie die Ergebnisse einschlägiger Erhebungen zeigen, führen wir rund die Hälfte unserer täglichen Aktivitäten mechanisch aus. Beispiele sind das morgendliche Kaffeekochen, das Absperren der Haustür beim Verlassen der Wohnung und die Fahrt zum Büro. Der Vorteil solcher gleichsam von allein ablaufenden Tätigkeiten ist, dass sie wenig Konzentration erfordern und man die Aufmerksamkeit daher anderen Dingen zuwenden kann. Der Nachteil: Schädliche Automatismen halten sich genauso hartnäckig wie nützliche. Hat man sich beispielsweise angewöhnt, nach der Arbeit immer ein bestimmtes Fast-Food-Restaurant aufzusuchen oder beim Fernsehen reflexartig nach Chipstüte und Bier zu greifen, hat der gute Wille naturgemäß einen schweren Stand.
Veränderungen des Umfeld sind effektiv
Mehr Erfolg versprechen in solchen Fällen Maßnahmen, die das Verhalten unterschwellig in die gewünschte Richtung lenken. Wie solche Verhaltensstupser oder „Nudges“ - so die auch bei uns zunehmend gebräuchliche englische Bezeichnung - aussehen, schildern die Wissenschaftler um Marteau detailliert. Grundsätzlich gibt es demnach zwei Möglichkeiten, Einfluss auszuüben. Man kann Betroffene durch Veränderungen des Umfelds dazu bringen, gesünder zu leben, oder etwa mit speziellen Schulungsprogrammen versuchen, die verhängnisvollen Assoziationen - beispielsweise Fernsehen und Chips - zu entkoppeln und durch neue, gesündere zu ersetzen.
Veränderungen des Umfelds halten Marteau und ihre Kollegen insofern für effektiver, als man hiermit unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund weite Teile der Bevölkerung zu erreichen vermag. Ein weiterer Vorzug: Etlichen Beobachtungen zufolge zeigen schon kleine Änderungen mitunter große Wirkung. So gibt es Hinweise darauf, dass Kinder und Jugendliche in der Schulpause mehr Obst einkaufen, wenn sich dieses griffbereit neben der Ladenkasse befindet. Bei einem attraktiven Angebot an Obst und Gemüse verzichten sie zudem häufiger auf Eis und andere Schleckereien. Erwachsene scheinen nicht minder empfänglich für solche Verhaltensstupser zu sein. Laut einer Verbraucherstudie der New Mexico State University reicht es offenbar, einen bestimmten Bereich des Einkaufswagens als „Ablage für Obst und Gemüse“ zu kennzeichnen, um den Verkauf solcher Lebensmittel merklich anzukurbeln. Im Restaurant lässt sich das Essverhalten der Gäste zudem günstig beeinflussen, wenn man die gesunden Speisen einige Zentimeter vor den anderen Gerichten am Buffet präsentiert oder im Menü eigens auf kalorienarme und gesunde Speisen hinweist.
Welche der vielen im Labor und in Feldstudien erprobten „Nudges“ den größten Nutzen bringen, ist bislang noch unklar. Einzelne Verhaltensstupser dürften freilich kaum in der Lage sein, den Übergewichtstsunami aufzuhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, kommt man wahrscheinlich nicht umhin, an mehreren Stellschrauben gleichzeitig zu drehen. Wie die englischen Autoren einräumen, sind hierzu vermutlich auch gesetzliche Regelungen vonnöten. Denn viele der Einflüsse, die einen gesunden Lebensstil fördern, lassen sich ohne strengere Vorschriften nicht nachhaltig genug kontrollieren. Das gelte unter anderem für die Nahrungsmittelwerbung in Kindersendungen, schreibt Marteau. Unabhängig von der Art des beworbenen Produkts verleiten solche Spots die kleinen Zuschauer nämlich dazu, sehr viel mehr zu essen.