https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/diamant-offenbach-ein-temporaerer-kunstort-fuer-alle-18437502.html

Pop-up-Museum in Offenbach : Hier lernen Lehrer von ihren Schülern

Kunst für alle mitten in Offenbach: Heiner Blum im temporären Museum „Diamant“ Bild: Lando Hass

Museum auf Zeit in einem alten Juwelierladen: Mit dem „Diamant“ will die Hochschule für Gestaltung in Offenbach einen Ort für kreatives Handeln schaffen.

          3 Min.

          Der Diamant als Leuchtkörper über dem Eingang, die Stahlgittertüren für die Nacht, die Glasvitrinen für den Schmuck, der große Tresor im Hinterzimmer, darunter der extra tiefe Betonboden, der einen Einbruch verhindern soll – es ist alles noch vorhanden. Über mehrere Generationen diente das Stadthaus in der Offenbacher Fußgängerzone der Familie Hunder als Juweliergeschäft. Jetzt, nachdem das Haus verkauft worden ist und auf seine Sanierung wartet, wollen Heiner Blum, Professor an der Hochschule für Gestaltung (HfG), Jan Lotter und ein Team von 13 Studierenden in Offenbach den ehemaligen Laden temporär in einen neuen sozialen Ort verwandeln. In ein Museum für urbane Kultur und eine Schule für kreatives Handeln.

          Ausstellungen mit Alltagsblicken

          Katharina Deschka
          Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Der „Diamant Offenbach“, wie der Titel des jetzt eröffneten Projekts lautet, zeigt diesen Herbst und Winter in einer Reihe an Ausstellungen jeweils zwei Wochen lang Kunst, die sich besonders vom Blick auf den Alltag und den öffentlichen Raum hat inspirieren lassen. So gehören zur ersten Ausstellung die Fotografien der Wienerin Xenia Lesniewski, die sich über Luxuslimousinen kletternd ablichtet, mit genau jenem Schuss an Frechheit, der beim Betrachten Vergnügen bereitet. Auch der Documenta-Künstler Rene Wagner ist mit Motorradhelmen aus Beton und knalligen Vasen mit Autotuningbildern zu sehen. Von Inaara Mariel laufen über Beamer auf der Rückwand des Hinterhofs ihre nachts mit der Infrarotkamera gefilmten Straßenszenen. Sonja Rychkova hat Freunde aus einer Plattenbausiedlung gezeichnet. Und von Anica Seidel aus Berlin sind ein Kleid mit Pailletten aus Schießstandscheiben, ein Windspiel mit Baseballschlägern und von Schlittschuhen zerkratzte Bilder zu sehen. In der ehemaligen Wohnung unter dem Dach mit ihren Spuren früherer Bewohner wirken die Exponate noch beunruhigender.

          Alle zwei Wochen neu: Ausstellung im „Diamant“. Bilderstrecke
          „Diamant“: Pop-up in Offenbach : Innenstadt mit neuem Kunstort

          So ist es ein besonderes Erlebnis, die Kunst in dem 1875 erbauten und in den Siebzigerjahren renovierten Haus zu entdecken. Sie hätten alles möglichst so gelassen, wie sie es vorgefunden haben, berichtet Heiner Blum, der an der HfG Experimentelle Raumkonzepte unterrichtet und schon einige verlassene Gebäude bespielt hat. Zwei Ladenetagen mit ihren Vitrinen für Bestecke, Schubladen für Schmuck, eine Werkstatt für Uhren und zwei Apartments können nun im „Diamant“ erkundet werden. In den unteren Geschossen wird es Donnerstag bis Sonntag jeweils nachmittags bis abends auch eine Bar geben, einen Treffpunkt zum Reden und Kennenlernen.

          Sozialer Ort für alle

          Denn der „Diamant“ als sozialer Ort ist für alle gedacht, offen für jeden, und soll auch zufällige Passanten hereinlocken. „Niedrigschwellige Teilhabe“ und die Begegnung mit Menschen sei den Studierenden heute wieder sehr wichtig, hat Blum beobachtet, der in Frankfurt schon Formate wie den „Schmalclub“ und mit Jakob Sturm „xqm“ entwickelt hat, um Menschen in Kunstaktionen miteinander ins Gespräch zu bringen.

          Im „Diamant“ dürfen Besucher die Erfahrung machen, dass ihre Kunst ohne Kuratoren, ihre Texte ohne Verlage in einer Präsentation Beachtung finden. In einer Public Gallery können sie ihre Werke in dort installierte Klapprahmen stecken, in einer Public Library unveröffentlichte Texte hinterlegen.

          Auch was Offenbachs Bewohner zu Hause an ihren Wänden hängen haben, interessiert das „Diamant“-Team. Bei Besuchen wollen sie Offenbacher dazu bringen, ihre Bilder in ihrem Museum auszustellen. In der Wall Paper Gallery im Treppenhaus wird mit Fotografien außerdem auf die schon länger bestehende Idee verwiesen, dass Kunst überall und von jedem gemacht werden kann, wie bei „Fashion Moda“, dem von Stefan Eins 1978 gegründeten Kunstraum in der South Bronx in New York. Oder auch bei den Workshops des Lehrers Tim Rollins, der in den Achtzigerjahren in New York mit gefährdeten Jugendlichen, den „kids of survival“, arbeitete und Kunst als Gegenmittel zum sozialen Abstieg begriff.

          Kinder unterrichten Lehrer

          Mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten ist auch im „Diamant“ ein wesentlicher Teil des Konzepts eines Orts „des Lernens und der Taten“. An den Wochentagen wird der Ort zur „Diamanten-Schule“ mit interdisziplinären Workshops für Kinder, Jugendliche und Schulklassen. Dazu arbeitet „Diamant“ mit dem Offenbacher Rudolf-Koch-Gymnasium im Rahmen des Programms „Profilschulen Kulturelle Bildung Hessen“ zusammen. Jan Lotter, der schon im „Fliegenden Künstlerzimmer“ der Crespo-Foundation als Künstler mit Schülern arbeitete, hat mit Studierenden der HfG einen Stundenplan für Schüler der 5. bis 13. Klasse erstellt. Alltagsnahe Straßenkunst soll vermittelt werden, wie etwa das Sammeln von Straßensound. Dies zeige Kindern und Jugendlichen, „hier laufen die Dinge anders“, sagt Lotter. Geplant sei, dass Lehrer auch mal von ihren Schülern unterrichtet würden. Von Tiktok und Instagram hätten sie ja oft keine Ahnung.

          ■ Diamant Offenbach, Frankfurter Straße 8, Öffnungszeiten Donnerstag 17 bis 22 Uhr, Freitag 17 bis 24 Uhr, Samstag 16 bis 24 Uhr, Sonntag 15 bis 20 Uhr. Informationen auf Instagram unter diamant.offenbach.

          Weitere Themen

          Mit dem Lastenfahrrad zum Kunden

          „Flottes Gewerbe“ : Mit dem Lastenfahrrad zum Kunden

          Die Stadt Frankfurt sieht in Lastenrädern für Betriebe die Chance, schneller und umweltfreundlicher ans Ziel kommen. Deshalb hat die Stadt das Projekt „Flottes Gewerbe“ ins Leben gerufen.

          Als der Adel baden ging

          Denkmalschutz in Wilhelmsbad : Als der Adel baden ging

          Einst wollte der Hanauer Landesherr mit Wilhelmsbad und der Kur viel Geld verdienen. Nun gibt der heutige Eigentümer, das Land Hessen, viele Millionen Euro für die Sanierung aus.

          Topmeldungen

          Der ehemalige „Bild“-Chef Julian Reichelt

          Vorwurf der Täuschung : Springer will von Reichelt 2,2 Millionen Euro

          Der Springer-Verlag verklagt den früheren „Bild“-Chef Julian Reichelt. Er habe gegen seinen Abfindungsvertrag verstoßen. Reichelts Anwalt weist die Vorwürfe zurück – und gibt Einblick in Springers angebliche Methoden.
          Ein Land in Trauer: Blumen, Kerzen und Ballons am Tatort in Annecy

          Messerangriff auf Spielplatz : Frankreich steht unter Schock

          Nach dem Messerangriff auf einem Spielplatz ist das Entsetzen in Frankreich groß. Präsident Macron reist zum Tatort. In Paris hat die Tat eines Syrers die Debatte über das Asylrecht weiter angeheizt.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.