Skispringen : Wellingers Sieg in Willingen macht Hoffnung für die WM
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Deutschlands Trumpf: Andreas Wellinger Bild: dpa
Spätestens nach seinem Coup in Nordhessen ist Andreas Wellinger der größte Trumpf der deutschen Skispringer, zumal Frontmann Severin Freund wegen eines Kreuzbandrisses passen muss.
Das Sauerland hat übers Wochenende einen Vorgeschmack auf den Frühling erhalten. Vom Schnee, der zuvor in großen Mengen die Region in eine beschauliche Winterwunderlandschaft verwandelt hatte, blieb an manchen Stellen im Strycktal nur noch brauner Matsch übrig. Die 17.000 Besucher, die auf dem Weg an die Willinger Mühlenkopfschanze über aufgeweichte Feldwege marschierten, störte der Schönheitsfehler in ihrer Feierlaune aber nicht.
Sie hatten auch so ihre Freude an der Veranstaltung, die wegen ihrer vielfältigen Partyangebote drum herum, als „Kult-Weltcup“ vermarktet wird und aus organisatorischer Sicht eine passende Schlusspointe bot: Andreas Wellinger, der 21 Jahre alte Oberbayer im Team von Bundestrainer Werner Schuster, stand am Sonntagabend im Zielraum, blickte zufrieden auf die Anzeigetafel und ließ sich mit einem breiten Lächeln im Gesicht sowie dem Glaspokal in der Hand für den zweiten Einzel-Sieg in seiner Karriere bejubeln. „Die Begeisterung war unglaublich. Wenn man oben die Stimmung hört und sich darauf freuen kann, in die Menschenmenge runterzufliegen, gibt es kein besseres Gefühl. Dieser Sieg ist die Krönung“, stellte er glücklich fest.
Gänsehaut im Warmen
Nach solch einem Happy End hatte es zunächst nicht ausgesehen. Wellinger schien vor dem Finale im Norweger Daniel-Andre Tande seinen Meister zu finden, doch der Berchtesgadener behielt die Nerven im zweiten Durchgang und besaß das Glück des Tüchtigen, dass ihm der wärmer gewordene Wind keinen Strich durch die Rechnung machte und Weiten von 147,5 und 135 Meter zusammengenommen genügten, um die Konkurrenz abzuhängen. Tande, der im Landeanflug von einer Böe erwischt wurde, fiel auf den vierten Rang zurück (149,5 und 134 Meter), die Österreicher Stefan Kraft (148,5 und 135,5) und Manuel Fettner (144,5 und 136) belegten die weiteren Plätze auf dem Podium.
Wellinger sprach ungeachtet der milden Temperaturen später von einem „Gänsehautmoment“. Viel besser hätte aus seiner Sicht die Einstimmung auf die bevorstehende Nordische Skiweltmeisterschaft kaum verlaufen können: Die Titelkämpfe finden vom 22. Februar an im finnischen Ort Lahti statt.
Wellinger ist spätestens jetzt, nach seinem Coup in Nordhessen, Schusters größter Trumpf, nachdem der in der Vergangenheit verlässlichste Frontmann, Severin Freund, wegen eines Kreuzbandrisses passen muss; die Resultate der Kollegen Markus Eisenbichler (18. Platz), Stephan Leyhe (20.) und Richard Freitag (23.) fielen dagegen ab. Doch der Bundestrainer versteht die wechselhafte Situation im eigenen Lager als reizvolle Herausforderung. „Bei uns wächst was“, lautete seine Beobachtung nach dem Aus des Anführers Freund, das alle zunächst schwer getroffen habe und auch eine Neuordnung der (flachen) Hierarchie nötig machte. „Unser Teamspirit ist besonders, jeder steht füreinander ein, die Jungs pushen sich oder fangen sich gegenseitig auf, wenn es mal nicht so klappt“, so Schuster.
Davon habe auch Wellinger bei seiner Mut machenden Leistung profitiert. Zuletzt stand der Student der Wirtschaftswissenschaften vor drei Jahren ganz oben. Zwischenzeitlich musste er physisch und psychisch die komplizierten Folgen eines schweren Sturzes verkraften, nachdem er Ende 2014 im finnischen Ort Kuusamo brutal mit den Höhen und Tiefen seines riskanten Geschäfts konfrontiert wurde - und einen Schlüsselbeinbruch davon trug. Er knallte damals, nachdem es ihn einmal um die eigene Achse gedreht hatte, ungebremst auf den Boden. Ursache des Zwischenfalls, so lautete später die einhellige Meinung, war eigenes Verschulden. „Er ist trotz schwieriger Bedingungen gesprungen, als ob er in diesem Moment den Gesamtweltcup gewinnen wollte“, sagte Schuster. „Er hat für seinen Übermut bezahlt.“
Wellingers Ehrgeiz tat die Verkettung unglücklicher Umstände keinen Abbruch. Sein Anspruch, stets zu den Besten zu zählen, war von Anfang an eine Triebfeder. Anfangs war Skispringen nur eine von zwei Sportarten, auf die er sich konzentrierte. Doch die Lust auf die Nordische Kombination ließ nach, „weil mir das Laufen einfach keinen Spaß gemacht“, wie er einräumte. Der Wechsel der Sparte war das Resultat fehlenden Antriebs und der Einsicht, in der Loipe nicht mithalten zu können: „Es ist blöd, wenn man nach dem Springen führt - und als Achter ins Ziel kommt.“ Schuster erkannte sein Talent und nahm ihn als Quereinsteiger unter seiner Fittiche. Das Resultat von Willingen, so bewertete es der Bundestrainer, sei eine „Belohnung“ Wellingers. Er habe bei seinem Weg nach oben „ein vorläufiges Plateau erreicht, aber er kann es noch besser“. Für den erwarteten Gipfel-Sturm wäre die WM in Lahti eine günstige Gelegenheit.