MT Melsungen in der Kritik : Außer Form geraten
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Zweikampf mit Patrick Wiencek (hinten) vom THW Kiel: Schwerer Stand für Kai Häfner Bild: Imago
Die MT Melsungen wird zum „Team D“ – jetzt ist wieder ein Krisenmanager gefragt. „Gut und schlecht wechseln sich bei uns viel zu sehr ab“, sagt Trainer Axel Geerken.
An Spott und Häme haben sie sich in Melsungen gewöhnt. „Wir sind nicht gut gestartet, um es nett zu sagen“, antwortet Axel Geerken am Telefon auf die Frage, ob die öffentliche Kritik der vergangenen Tage berechtigt sei, „vieles, was gerade an Polemik kommt, haben wir selbst zu verantworten.“
Geerken, Vorstand der MT Melsungen, ist in Nordhessen gerade mal wieder als Krisenmanager gefragt: drei Spiele in der Handball-Bundesliga, kein Sieg, ein ordentlicher Auftritt gegen den THW Kiel, dann allerdings eine Pleite gegen die Füchse Berlin – am Montag musste Trainer Gudmundur Gudmundsson gehen. Geerken, 48 Jahre alt, sagt: „Gut und schlecht wechseln sich bei uns viel zu sehr ab. Das ist der Punkt, der sich in unterschiedlichen Konstellationen durchzieht: Wir schaffen es nicht, Konstanz hinzubekommen.“
Seit Jahren versucht der Verein mit dem Geld des Medizinbedarf-Unternehmens B. Braun, zum Spitzenklub im deutschen Handball zu werden. Dass in Melsungen höhere Gehälter gezahlt werden als in Kiel, Magdeburg oder Berlin, verneint Geerken. Aber er unterhält dort eine teure Mannschaft, die das Gerüst des deutschen Nationalteams bildet: Timo Kastening, Julius Kühn, Silvio Heinevetter, Finn Lemke, Kai Häfner. Aus der MT Melsungen ist die MT Deutschland geworden – mit der Konsequenz, dass genau hingeschaut wird, was dort geschieht, hat dies doch unmittelbare Folgen für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB).
„Noch nie so leer wie nach dem Finale“
Darauf hatte vor den Olympischen Spielen in Tokio Bob Hanning hingewiesen. Der scheidende DHB-Vizepräsident geißelte im Juni die vermeintlich fehlende Mentalität bei der MT. Dort regiere das Geld. Spieler seien zu schnell zufrieden. Geerken sagt: „Wir sind nicht so nervös, dass wir auf jede und jeden reagieren müssen. Da aber haben wir es getan.“ Er wehrte sich öffentlich gegen die negative Zustandsbeschreibung.
In der Sache lag Hanning aber nicht falsch; außer Kastening spielten die MT-Nationalspieler unter Form. Dementsprechend schnitten die Deutschen bei Olympia ab. Im Übrigen sei eine „etwas deutschere Prägung“ bei der MT ab 2017 gewollt gewesen. Damals kamen Kühn, Reichmann und Lemke. Weitere Verpflichtungen deutscher Spieler hätten sich dann aber einfach so ergeben: „Wir selbst sehen uns nicht als MT Deutschland. Dieses Attribut wird uns oft von außen zugeschrieben“, sagt Geerken. Er arbeitet seit 2012 verantwortlich in Melsungen.
Es gibt genügend Beispiele für das maximale und das minimale Leistungsvermögen der MT Melsungen. In der vergangenen Saison hätte Häfner in Kiel beinahe mit dem letzten Wurf einen Punkt gesichert. Zwei Tage später in Flensburg ging die MT 20:36 unter. Schlimmster Missklang unter Gudmundsson war aber das Pokalturnier Anfang Juni in Hamburg. Nach dem Sieg im Halbfinale gegen das Team von Hannover wartete im Endspiel der TBV Lemgo – nach einem überraschenden Erfolg gegen die Kieler. Vieles, ja fast alles hätte die MT Melsungen mit einem Pokaltriumph gegen die nominell schwächeren Lemgoer überdecken können. Doch sie verloren deutlich. Geerken sagt: „Ich bin schon einige Jahre als Spieler und Manager dabei. Aber ich war nie so leer wie nach dem Finale. Wir haben da eine riesige Chance vergeben. Große Diskussionen begannen.“ Natürlich war die Position des Trainers nach diesem Debakel geschwächt.
„Das war eine gute Phase“
Rätselhaft bleibt, warum ein Team sich so launisch zeigt, das doch Führungsspieler wie Heinevetter, Häfner, Kastening dabei hat. Gerade der flinke Außen spart nicht an Kritik. „Für mich ist das ein Fehlstart“, sagte Kastening jetzt gewohnt offen. Auch das vermisst man in Melsungen: dass sportlich schwache Leistungen tatsächlich benannt werden. Dass Ziele ausgegeben werden, die dem Wert und Können des Kaders entsprechen. Schließlich warten Fans und Fachleute seit Jahren auf den großen Durchbruch. Dass der bestaunte Zugang André Gomes aus Porto bislang verletzt noch nicht zum Einsatz kam, gibt dem neuen Trainer wenigstens etwas Spielraum.
Gehandelt wird als neuer Coach der Schwede Robert Hedin. Auch für Geerken wäre es wichtig, dass der neue Mann einschlägt. Es passte nämlich zuletzt weder bei Heiko Grimm noch bei Gudmundsson: „Ich bin so reflektiert zu sagen, dass ich Gudmundur geholt habe und es nicht funktioniert hat“, meint Geerken, „ich selbst stehe stark in der Kritik. Es fokussiert sich viel auf mich, weil ich verantwortlich bin. Und mir ist auch klar, dass wir in Nordhessen mit diesen Spielern eine Erwartungshaltung erzeugen, der wir bislang nicht gerecht werden.“
Platz vier in der Saison 2015/16 war das bisher beste Resultat der MT Melsungen. Damals hieß der Trainer Michael Roth. Acht Jahre arbeiteten er und Geerken an der MT. Geerken sagt: „Das war eine gute Phase. Wir haben uns aus dem unteren Mittelfeld ins obere Drittel vorgearbeitet. Aber nun müssten wir den nächsten Schritt schaffen.“
Auf die Rolle als Sündenbock des deutschen Handballs hat Geerken keine Lust. Der neue Coach, Aufbruchsstimmung, eine Jetzt-erst-recht-Haltung: „Wichtig ist, dass wir uns in jedem Spiel, jedem Training als Team, als echte Einheit präsentieren.“ Dass er damit nur die Grundvoraussetzungen des Profi-Teamsports benennt, sagt viel über die Situation in Melsungen.