Stemmt sich gegen London: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Bild: AFP
Ein Ultimatum aus Brüssel, das umstrittene Binnenmarktgesetz zu ändern, ließ London verstreichen. Die EU-Kommission reagiert prompt und beklagt einen „schweren Vertrauensbruch“.
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Die EU-Kommission hat am Donnerstag im Konflikt um das britische Binnenmarktgesetz ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet. „Dieses Gesetz stellt in sich einen Bruch mit der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit dar, die im Rückzugsabkommen festgelegt worden ist“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstagmorgen in Brüssel. Wenn das Gesetz in seiner derzeitigen Form beschlossen werde, stehe „es in vollem Widerspruch zum Protokoll über Irland und Nordirland“. Die Kommission hatte London ein Ultimatum bis Ende September gesetzt, um die umstrittenen Passagen zurückzuziehen. Stattdessen wurde das Gesetz am Dienstagabend vom Unterhaus angenommen; es wird nun im Oberhaus behandelt.
Die EU-Kommission setzte die britische Regierung am Donnerstag in einem Schreiben von dem Vertragsverletzungsverfahren in Kenntnis und gab ihr einen Monat Zeit, um darauf zu reagieren. Das ist stets der erste Schritt eines solchen Verfahrens. Im zweiten Schritt kann die Kommission dann eine begründete Stellungnahme abgeben, das betroffene Land erhält wieder Gelegenheit zur Stellungnahme.
Es geht darum, Zeit zu gewinnen
Sind die rechtlichen Bedenken bis dahin nicht ausgeräumt, kann die Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben. Der wiederum kann im Fall einer Verurteilung empfindliche Strafzahlungen für jeden Tag verhängen, in dem ein widerrechtlicher Zustand andauert. Obwohl das Vereinigte Königreich Ende Januar dieses Jahres die Europäische Union politisch verlassen hat und die Übergangsphase Ende Dezember ausläuft, sind Vertragsverletzungsverfahren noch vier Jahre nach dem Ende der Übergangsphase möglich.
Einstweilen geht es für die Kommission freilich nur darum, Zeit zu gewinnen und ungeachtet des „schweren Vertrauensbruchs“, den sie beklagt, weiter über die künftigen Beziehungen mit London zu verhandeln. Michel Barnier hat dafür die Rückendeckung der großen Mitgliedstaaten.
EU will nicht den Schwarzen Peter
Am Dienstag begann die neunte Runde in Brüssel, sie endet am Freitag. Nachdem intern ein Abbruch erwogen worden war, setzte sich die Einschätzung durch, dass dies nur den Hardlinern in London nutzen würde. Die könnten sonst der EU den Schwarzen Peter für das Scheitern zuschieben.
Sollten die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, wird die EU es aber zur Bedingung machen, dass London die umstrittenen Teile des Binnenmarktgesetzes fallen lässt – falls sich diese dann nicht ohnehin erübrigen. Das Europäische Parlament hat schon angekündigt, dass es andernfalls ein Abkommen „unter keinen Umständen ratifizieren wird“.