Distanzreiten : Auf schlammigem Grund
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Keine Chance zur Erholung: Das Pferd Maison Blanche Vengai in einer kurzen Pause beim Distanzreiten Bild: FEI/MARTIN DOKOUPIL
Tod und Erschöpfung: Die Internationale Reiterliche Vereinigung tut sich mit Offenheit zum Skandalauftritt der Distanzreiter verdächtig schwer. Wollen die Funktionäre das Distanzreiten unbedingt retten und nicht die Pferde?
Am Mittwoch vergangener Woche wurde das WM-Rennen der Distanzreiter bei den Weltreiterspielen in Tryon abgebrochen. Bis Montagmorgen sieht sich die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) weder in der Lage, die Zwischenergebnisse vor dem Abbruch zu veröffentlichen, noch die Ergebnisse des letzten vorgeschriebenen tierärztlichen Checks. Warum? Bei einer spürbar ungern abgehaltenen Pressekonferenz am Freitag gab FEI-Präsident Ingmar de Vos zusammen mit dem Cheftierarzt des Verbandes, Göran Akerström, und dem Präsidenten der Veterinärkommission, Thomas Timmons, ein paar Details preis. Doch diese vergrößerten die Beunruhigung auch wegen ihrer Unvollständigkeit.
Die traurigste Nachricht: Ein entkräfteter Anglo-Araber namens Barack Obama, mit dem die Neuseeländerin Jenny Champion gestartet war, musste zwei Tage nach dem Rennen wegen Nierenproblemen eingeschläfert werden. Er war zwanzig Jahre alt, die Reiterin hatte ihr Rennen in der zweiten Schleife von sich aus beendet.
Barack Obama war nicht das einzige Pferd, das nach schwerem Regen, bei lastender Schwüle und schlammigem Boden überanstrengt wurde. Nachdem ein Unbekannter beim Start um 6.30 Uhr einen Teil des Feldes in die falsche Richtung geschickt hatte, wurde das Rennen unterbrochen. Bei der tierärztlichen Kontrolle wurden nach Akerströms Auskunft 15 erschöpfte Starter aus dem Rennen genommen. Die erste von fünf Schleifen wurde annulliert. 95 Pferde starteten zur von 160 auf 120 Kilometer verkürzten WM. 53 landeten in der Tierklinik, die meisten wegen Kreislaufproblemen und Austrocknung.
Bis zur Erschöpfung strapaziert
Als die Offiziellen merkten, wie viele Pferde sich in den Zwangspausen nicht mehr erholten, entschieden sie ungefähr um 18 Uhr, das Rennen abzubrechen. Das Pferdewohl habe Priorität. So plötzlich? Offensichtlich reagierten die Funktionäre erst, als die Mehrzahl der Pferde völlig entkräftet war. Und die Reiter? Offenbar hatten 53 Teilnehmer ihre Pferde bis zur totalen Erschöpfung strapaziert. Entweder sie konnten den Zustand der Tiere nicht einschätzen. Oder sie ignorierten ihn. Beides stellt solche Marathons massiv in Frage.
In Führung soll bei Abbruch der Spanier Alex Luque Moral mit Calandria gelegen haben, der angeblich die letzte Schleife über 28,5 Kilometer schon etwa zur Hälfte hinter sich gebracht hatte. Auch sein Team soll vorne gelegen haben. Aussichtsreich auch die Franzosen. Ihre Pferde waren offensichtlich für die Belastungen ausreichend trainiert.
Auch zwei deutsche Reiter, Bernhard Dornsiepen aus dem Sauerland und Ursula Klingbeil aus Bayern, hielten sich unter den Top 20. Beide gehören zur bedrohten Spezies der Distanzreiter, deren Ideal die Partnerschaft zwischen Reiter und Pferd ist und die bereit und in der Lage sind, die Kräfte ihrer Pferde einzuschätzen und sinnvoll einzuteilen. Es wird berichtet, dass es beim Abbruch zu Tumulten gekommen sei. Teilnehmer hätten Funktionäre attackiert, es habe die Polizei gerufen werden müssen.
Mehrere Quellen berichten, zu diesem Zeitpunkt sei die Mannschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, zu der drei Söhne Scheich Mohammed al-Maktoums, des Regenten von Dubai, gehörten, bereits von den Tierärzten aus dem Rennen genommen worden. Die Fachzeitschrift „Horse and Hound“ behauptet, Kronprinz Hamdan, der Titelverteidiger, sei vor der letzten Schleife als ausgeschlossen registriert und plötzlich doch wieder dabei gewesen.
Aufschluss könnten die Protokolle geben, die der Weltverband zurückhält. Der Verbleib der Reiter aus den Emiraten ist ein wichtiges Puzzleteil für das Gesamtbild, weil sich der Lieblingssport der Araber weitgehend unter Kontrolle des Emirs von Dubai zu befinden scheint. Seine Firmengruppe Meydan war Titelsponsor der WM. Rücksicht auf Interessenkonflikte nahmen weder Veranstalter noch Weltverband. Die Geschehnisse muten an, als walteten Kräfte, die den Weltverband nicht mehr frei handeln lassen. Für die FEI könnte es fatale Folgen haben, würde sie Scheich Mohammed nachhaltig verärgern. Sie lebt seit der Präsidentschaft Prinzessin Hayas von Jordanien von 2011 bis 2014 wirtschaftlich vorwiegend von deren arabischen Kontakten. Haya ist mit dem Regenten von Dubai verheiratet. So ist der Uhrenhersteller Longines allgegenwärtiger Sponsor im Reitsport – auch in Tryon. Longines gehört zur Swatch-Group, deren Präsidentin Nayla Hayek ist, die Tochter des Retters der Schweizer Uhren, Nicolas G. Hayek. Sie hat beste Beziehungen in die Golfregion, besonders nach Dubai. Mit Mohammed al-Maktoum machte sie Geschäfte. Türöffner ist auch eine gemeinsame Leidenschaft: die Araberpferde. Nayla Hayek besitzt ein Gestüt. Zwar betont man bei Longines, das Engagement im Pferdesport folge einem langfristigen Plan. Doch die Abhängigkeit ist gefährlich. Sollte sich der Sponsor zurückziehen, drohte der FEI in finanzieller Hinsicht wohl das letzte Stündlein zu schlagen.
Es steht zu befürchten, dass die FEI das Fiasko nicht transparent wird aufarbeiten können. Den missglückten Start soll eine interne „Integrity Unit“ untersuchen. De Vos vermied es, den Fortbestand des Distanzreitens im Programm der Weltreiterspiele, die acht Weltmeisterschaften umfassen, zu hinterfragen. De Vos stellte vielmehr das Konstrukt insgesamt in Frage. Er deutete an, dass die Spiele für einen Veranstalter kaum zu stemmen seien. Stolz betonte er, dass die FEI vergangenen Mittwoch „den Sport gerettet“ hätte. So als müsste man das Distanzreiten unbedingt vor dem Untergang retten. Und nicht die Pferde vor dem Distanzreiten in seiner jetzigen Form.