Ende des Marvin-Mysteriums : Mehlems Ausstieg aus der Achterbahn
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Marvin Mehlem hilft den „Lilien“. Bild: picture alliance/dpa/Revierfoto
Der „Filou“ Marvin Mehlem zeigt bei den „Lilien“ konstant gute Leistungen – als Pfiffikus im Spiel nach vorne und als Cleverle in der gekonnten Absicherung. In Darmstadt hält man viel von ihm.
Mit der These konfrontiert, dass er noch nie besser und konstanter Fußball gespielt hat als aktuell, sagt Marvin Mehlem: „Da möchte ich nicht widersprechen.“ Dabei huscht ein Anflug seines oft spitzbübischen Lächelns über sein Gesicht. Mehlem, so viel ist klar, ist mit sich und der (Fußball-)Welt im Reinen. Unabhängig davon, dass es für seinen langjährigen Arbeitgeber SV Darmstadt bestens läuft.
(Zwischen-)Hochs für die „Lilien“ hat es in Mehlems nunmehr fünfeinhalb Jahren beim SVD häufiger gegeben. Nur konnte man diese meist nicht direkt mit dem Zutun des kleinen Technikers mit der großen Begabung in Verbindung bringen. Zu unstet war er, zu oft folgten auf eine gute Aktion drei schlechte, zu selten konnte er die Erwartungen erfüllen, die aufgrund seiner für jeden sichtbar manchmal leuchtenden Fähigkeiten höher sind als an andere Kollegen.
Das gipfelte einst in der Forderung des ehemaligen Trainers Dimitrios Grammozis: „Wer alles kann, muss auch alles zeigen.“ Ein Satz, das ließ Mehlem schon durchblicken, der ihm gar nicht gefallen hat. Aber vielleicht doch eine wichtige Wegmarke seines Reifeprozesses im Darmstädter Trikot war. Denn dass die „Lilien“ in dieser Spielzeit seit Oktober konstant an der Zweitligaspitze stehen, ist anerkannt auch Mehlems Werk.
Leistung fährt Achterbahn
Der 25-Jährige spielt nicht nur immer, er prägt auch das Spiel. Und zwar als belastbarer und auch kampfstarker Mittelfeld-Allrounder. Vorbei die Zeit, als er sich einzig als kreativer Kopf im zentralen offensiven Mittelfeld verstand, er mit seinem oft zugewiesenen Einsatzgebiet auf den offensiven Außenbahnen erkennbar haderte und seine Eingebungen und Ideen zu oft in einem Fehlpass oder schier plumpem Ballverlust mündeten.
In Tateinheit mit seiner dann regelmäßig Verzagen ausstrahlenden Körpersprache rief er Murren auch beim eigenen Publikum hervor. Was wiederum die Achterbahnfahrt seiner Leistungen beförderte.
„Abschalten und Achterbahnfahren im Europark in Rust“ – so beschrieb Mehlem seine Pläne für das freie Wochenende, das den SVD-Profis während der Länderspielpause gewährt wurde. Wie und warum er der ewigen Achternbahnfahrerei als Fußballprofi überdrüssig geworden ist, vermag er nicht genau zu sagen. „Konstanz“, sagte er, „war immer ein großes Thema bei mir. Ich habe es mir immer vorgenommen, aber dann war sie schnell wieder weg.“
In den Augen von Trainer Torsten Lieberknecht gibt es für Mehlems Beständigkeit mehrere Gründe. Zum einen dessen verbesserte Physis und sein größerer Antrieb diese zu erhalten, was auf den „herben Einschnitt in seiner Karriere“ vor etwa zwei Jahren zurückzuführen sei, einer schweren Knie-Blessur samt großer Operation. Dazu „gebe ich ihm viel Verantwortung“, so Lieberknecht. Zumal in einem Spielsystem, in dem es im Vergleich zu der im Vorjahr bei den Darmstädtern bevorzugten 4-4-2-Formation überhaupt wieder die Zehnerposition gibt, die Mehlem so sehr für sich favorisiert.
„Marvin“, sagt Lieberknecht, „ist ein Filou so ein bisschen. Ein Spielkind, das da draußen seine Spielwiese vorfindet. Wenn er den Rasen riecht und einen Ball hat, dann geht’s los.“ Dann kann im Höchsttempo mit seiner engen Ballführung, seiner sozusagen kleinen Übersetzung, jederzeit etwas Besonderes entstehen.
Rollenwechsel auf Zeit
Den Reifeprozess des gebürtigen Karlsruhers besonders gut illustriert hat das vergangene Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern (2:0). Eingesetzt im defensiven Mittelfeld kann Mehlem seine Rolle als unbekümmerter Dribbler und Nonkonformist, der sich auf dem Platz gerne mal unabhängig macht, mittlerweile auch bestens eintauschen gegen die Funktion eines diszipliniert und weitsichtig agierenden Vorkämpfers.
Wie viele Passwege er an der Seite des auf der Sechserposition ebenfalls fachfremden Fabian Holland zulief und in seiner Zweikampfführung Geschicklichkeit mit Schärfe paarte – da gab Mehlem ein starkes Bild ab. Ein Pfiffikus im Spiel nach vorne und ein Cleverle in der gekonnten Absicherung.
„Das hat gut geklappt und es hat Spaß gemacht“, sagte er zu seinem Rollenwechsel auf Zeit, der womöglich noch öfter folgen könnte. In Abwesenheit des nach wie vor verletzten Platzhirsch auf dieser Position, Tobias Kempe, ja vielleicht auch an diesem Freitagabend (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur 2. Bundesliga und bei Sky) beim 1. FC Nürnberg.
Dass die Darmstädter nicht nur viel halten von ihrem Spross, der schon mit 19 zum Verein stieß und unlängst erstmals Vater geworden ist, sondern sich auch mit Blick auf eine mögliche Erstligazeit noch viel von ihm versprechen, verdeutlicht die unlängst vorzeitig vollzogene Vertragsverlängerung bis Mitte 2025. Auf dass aus dem einstigen Marvin-Mysterium jener Profi Mehlem wird, den er in dieser Saison verkörpert.