Gerichtsgutachter : Zwischen Wahrheit und Kaffeesatz
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Gutachten sind oft dabei: Akten auf dem Richtertisch Bild: Florian Manz
Robert Musil nannte sie die „Reserveengel der Justiz“, die psychologischen Gutachter bei Gericht. Sie sollen für tragfähige Einschätzungen der psychischen Disposition der Angeklagten sorgen - aber das sagt sich leicht.
Psychiater, Psychologen, Traumatologen, Therapeuten, Rechtsmediziner - die Liste der Fachleute, die sich mittlerweile zum Fall des Jörg Kachelmann geäußert haben, wird länger und länger. Das Verfahren hat sich zu einem Krieg der Gutachter entwickelt. Denn im Kern steht Aussage gegen Aussage: Einer lügt, aber wer?
Gutachter werden die entscheidende Rolle spielen, bis das Gericht irgendwann das Urteil spricht. Und so ist das landauf, landab: Gutachter beurteilen die Spuren der Tat, die Verletzungen der Opfer und die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Wann immer das Gericht nicht weiterkommt, werden neue Gutachter beauftragt. Aber führt das wirklich weiter?
"Letztlich machen wir in Gutachten Wahrscheinlichkeitsaussagen, die Beweisbeurteilung obliegt dem Gericht", sagt Renate Volbert vom Berliner Institut für Forensische Psychiatrie in Berlin. Häufig geht es zum Beispiel darum, ob eine Aussage durch bloße Suggestion zustande gekommen sein könnte, etwa wenn ein Kind durch wiederholte intensive Befragungen eine Pseudoerinnerung aufgebaut hat: Es glaubt dann felsenfest, das Geschehen selbst erlebt oder gar erlitten zu haben. Das kann auch der Fall sein, wenn das Kind mit der Erwartung einer bestimmten Aussage unbewusst unter Druck gesetzt worden ist.
Bescheidene Erkenntnisse
Manchmal geht es tatsächlich darum, Lügner zu überführen. Hier können Indizien weiterhelfen: "Wir haben nicht nur die Aussage, sondern auch die Aussagegeschichte", sagt Renate Volbert, "so können wir analysieren, ob sich Teile der Aussage im Laufe der Vernehmungen verändert haben." Volbert räumt allerdings ein, dass ein psychologischer Gutachter einem intelligenten und kaltblütigen Lügner nur schwer auf die Schliche kommt. "Weil es keine Lügenmerkmale gibt. Wir können bei einer geringen Aussagequalität nur nicht ausschließen, dass die Aussage auf einer Lüge basiert." Anders ausgedrückt: Wenn es merkwürdig klingt, könnte es gelogen sein.
Das ist dann keine besonders eindeutige Erkenntnis. "Wir können den Leuten eben nicht hinter die Stirn gucken", sagt Hans-Ullrich Paeffgen vom Institut für Strafrecht der Universität Bonn. "Trotzdem sehen viele Richter die Gutachten nicht als Beratung, sondern nehmen das Ergebnis zum Nennwert." Vor allem die Qualität der sogenannten aussagepsychologischen Gutachten sieht Paeffgen kritisch: "Es gibt hierzulande ein exorbitantes Gutachtenwesen. Die wirklich guten Leute sind überlaufen. Angesichts der Masse der Fälle wird nicht immer akribisch genug gearbeitet. Bisweilen werden die Kandidaten gar nicht persönlich in Augenschein genommen." Stattdessen wird nach Aktenlage formuliert. "Manche Gutachten sind von der Kaffeesatzleserei nicht weit entfernt", sagt Paeffgen.
Das hat viele Gründe, unter anderem den, dass ein Gutachter zu seinem Job kommen kann wie die Jungfrau zum Kind. "Grundsätzlich kann jeder Psychiater ein psychiatrisches Gutachten erstellen, ohne eine spezielle Qualifikation etwa in forensischer Psychiatrie", sagt Christian Vogel vom Berufsverband Deutscher Psychiater. Auch Psychologen brauchen keine Zusatzqualifikation für ein Gerichtsgutachten. Es hängt vom Gericht ab, ob es einen Gutachter für qualifiziert hält, eine formale Hürde gibt es nicht. Gutachten werden gut bezahlt und sind ein attraktiver Nebenverdienst.