Wie erkläre ich’s meinem Kind? : Warum sich Eishockeyspieler prügeln dürfen
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Mit der Zeit führte die Häufung dieser körperlichen Auseinandersetzungen dazu, dass es in den unterschiedlichen Teams einen Spielertypen für genau diese Szenen gab, den es heute immer seltener gibt: den Enforcer, was aus dem Englischen übersetzt so viel heißt wie „Abräumer“ oder „Vollstrecker“. Seine Aufgabe ist es vor allem, die Spieler der gegnerischen Mannschaft nach gemeinen Fouls zur Rechenschaft zu ziehen. Und die eigenen Spieler zu schützen, wenn sie wiederum vom Gegner attackiert werden. Die Kämpfe haben aber noch eine weitere wichtige Funktion. Sie sind ein taktisches Mittel und dienen zum Beispiel als Weckruf für die eigene Mannschaft, wenn die in Rückstand liegt oder die eigenen Fans angestachelt werden sollen. Früher waren Enforcer oft nur für die körperlichen Auseinandersetzungen in den Teams zuständig. Heute müssen sie mehr leisten, weil das Spiel taktischer, schneller und komplexer geworden und für Typen, die nur prügeln können, kein Platz mehr ist.
Bleibende Schäden
Obwohl es den reinen Enforcer inzwischen kaum noch gibt, sind die Kämpfe nicht aus dem Eishockey verschwunden. Und das ist auch gut so, sagen manche. Sie glauben nämlich, dass die Prügeleien im Eishockeysport die Spieler zu einem gewissen Maß schützen. Die haben nämlich mit den scharfen Stahlkufen ihrer Schlittschuhe, ihrem Stock, der hohen Geschwindigkeit und der Härte, die erlaubt ist, die Möglichkeit, einen Gegenspieler zu jeder Zeit schwer zu verletzen, wenn sie denn wollen. Durch kleine Fiesheiten und versteckte Fouls, die die Schiedsrichter oftmals gar nicht sehen können, staut sich bei vielen manchmal Wut auf im Spiel, die sich dann in den Prügeleien entlädt. Besser dort, als in einem unsportlichen Foulspiel, das schlimme Folgen haben kann, sagen die Befürworter der Kämpfe.
Doch das ist längst nicht der einzige Grund, warum die Ligen in Europa und die in Nordamerika weiterhin so nachsichtig bei diesem Thema sind. Viele der Zuschauer wollen genau die Prügeleien sehen. Die Kämpfe sind beliebt. Kommt es zu einer Schlägerei, wird es meist laut im Stadion. Passende Musik wird eingespielt, und plötzlich kommt man sich vor wie auf einem Volksfest. Wer die Kämpfe verbietet, macht sich bei vielen Fans unbeliebt. Und wahrscheinlich machen sich die Verantwortlichen auch Sorgen, dass vielleicht weniger Zuschauer kommen, wenn sie die körperlichen Auseinandersetzungen nicht mehr dulden.
Kritiker der Kämpfe monieren, dass bleibende Schäden die Folge sein können. Es gibt sogar Spieler, die durch im Kampf erlittene Verletzungen gestorben sind, wie der damals 21 Jahre alte Amateurspieler Don Sanderson. Sein Helm, den viele Spieler vor einem Kampf auch ausziehen, war ihm runtergefallen. Anschließend schlug er mit seinem Kopf auf der Eisfläche auf und starb nach mehreren Tagen im Koma. Es gibt wissenschaftliche Studien, die nahelegen, dass Eishockeyspieler ein erhöhtes Risiko für Hirnschäden haben. Viele nach ihrem Tod untersuchte Spieler wiesen eine Erkrankung des Gehirns auf, die es häufiger bei Menschen gibt, die viele Schläge auf den Kopf bekommen haben. Sie wird oft auch Boxer-Syndrom genannt. Bei den Betroffenen kann es zu Stimmungsschwankungen kommen, aber auch der Verlust des Gedächtnisses und ein erhöhtes Suchtpotenzial sind ihre Folgen. Geändert hat sich bisher trotzdem nichts. Gekämpft wird weiterhin. In Nordamerika. Und in Europa. Bei den Männern. Und bei den Frauen.
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