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Katrin Passens: MfS-Untersuchungshaft. : Erichs schreckliche Vollzieher

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Zelle in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (Januar 2013). Bild: dapd

Die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 durch Honecker - von der SED als endgültige internationale Anerkennung der DDR gefeiert - zog dann Probleme für das MfS nach sich.

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          Wer einmal mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR in direkte Berührung gekommen ist, hat das nicht vergessen. Noch weniger diejenigen, die in Haft kamen und teilweise monate- oder gar jahrelanger Willkür der Stasi ausgesetzt waren. Fast immer waren dies traumatische Erfahrungen, die nicht selten psychische Langzeitschäden nach sich zogen. Oberstes Ziel aller Machenschaften des MfS war und blieb die Sicherung des Machterhalts der SED. Entsprechend hatte es die Funktion, umfassende Informationen zu erarbeiten, um gesellschaftlichen Widerstand auszuschalten, die Flucht- und Ausreisebewegung einzudämmen, Devisen zu beschaffen und der Partei das Meinungsmonopol zu sichern, das heißt, jegliche Gegenöffentlichkeit zu verhindern.

          Seit mehr als 20 Jahren ist das MfS nun ein Schwerpunkt der DDR-Forschung. Inzwischen wissen wir erheblich mehr über die „Firma“ - wie ehemalige Stasi-Angehörige das MfS intern nannten. Zutreffender ist freilich die Bezeichnung „Krake“, mit der Betroffene die Stasi charakterisierten, kam doch auf 180 Einwohner der DDR, statistisch gesehen, ein Mitglied des MfS. Das ist bis heute die höchste Relation der Überwachungsdichte in ehemaligen Ostblock-Staaten. Katrin Passens untersucht eine der übelsten Praktiken der Stasi - die Untersuchungshaft.

          Mehr als 35 000 Menschen waren diesem Repressionsinstrument allein während der Ära Honecker (1971 bis 1989) unterworfen. Verantwortlich dafür war die „Linie IX“, eine der ältesten und wichtigsten Diensteinheiten der Stasi überhaupt. Diese Linie existierte nicht nur als Hauptabteilung IX an der Spitze des MfS, sondern unter gleicher Bezeichnung auch in den Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit (BVfS) auf regionaler Ebene, einschließlich der dortigen Gefängnisse. Befehle und Anordnungen konnten sofort von oben nach unten durchgestellt werden; ebenso geradlinig verlief der Dienstweg von unten nach oben. Geht man von der Grundintention totalitärer Herrschaft aus, die Bevölkerung soweit wie möglich zu „durchherrschen“, dann wird diese Absicht an der spezifischen Organisationsstruktur der Stasi deutlich.

          Die Studie beschränkt sich indes nicht nur auf die Durchführung der Haft, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, die Seiten mit Erlebnisberichten zu füllen, sondern sie bezieht weitere Faktoren ein, die auf den „Vollzug“ einwirkten und diesen im Laufe der Jahre veränderten: die außenpolitische Entwicklung, die innenpolitische Situation, die allmähliche Präzisierung des Strafrechts sowie die Herausbildung der Opposition in der DDR. Auf diese Weise wird durch den Fokus auf eine Organisations- und Strukturgeschichte des MfS transparent, dass „Mielkes Konzern“ spezifische Entwicklungsphasen durchlief. Das wiederum widerlegt das Vorurteil, es habe sich bei der Stasi um ein ehernes Monstrum gehandelt.

          In der Tat hat sich das MfS binnen nicht einmal zweier Jahrzehnte durchaus verändert, ohne freilich unmenschlichen Repressionspraktiken zu entsagen, wenn „man“ es für erforderlich hielt. Oberster Zweck blieb es immer, Untersuchungshäftlinge zu Aussagen zu bringen; das geschah mittels gezielter Desorientierung, Isolierung und totaler Überwachung. Nachtruhe in den Zellen war beispielsweise für die Häftlinge nur bei brennendem Licht erlaubt, beide Arme sichtbar auf der Bettdecke. Dass das MfS bereits vor einem offiziellen „strafrechtlichen“ Verfahren verdeckte Ermittlungen durchführte, die nach einer Verhaftung gleichwohl als Beweismaterial in Anwendung kamen, war gängige Praxis. Darüber hinaus nahm die Stasi staatsanwaltschaftliche Aufgaben wahr, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gab.

          Durch die Einbeziehung des historischen Kontextes wird deutlich, dass die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte durch Honecker in Helsinki im Jahre 1975 - von der SED als endgültige internationale Anerkennung der DDR gefeiert - unerwartete Probleme für das MfS nach sich zog. Zwar wurde mit drakonischer Härte und Verschärfung des Strafrechts auf die rasch über 100 000 Menschen anwachsenden Ausreisewilligen geantwortet, die sich auf das in der Schlussakte verbriefte Recht zur Freizügigkeit beriefen. Doch von nun an ließen sich diejenigen, die einen Ausreiseantrag stellten, bis zum Ende der DDR kaum mehr einschüchtern. Analoges galt für jene, die 1976, nur ein Jahr nach Helsinki, gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten. Auch die ab Ende der 1970er Jahre entstehende Opposition der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen in der DDR ließ sich auf Dauer nicht mehr wegsperren. Wenngleich der SED-Staat an ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik harte Devisen verdiente, symbolisierte es den Ausverkauf des eigenen Systems.

          Insgesamt war das letzte Jahrzehnt der DDR von einer „Verstetigung oppositionellen Handelns“ geprägt, dem das MfS einerseits durch neue Verhaftungswellen, andererseits durch präventive Maßnahmen zu begegnen suchte, Letzteres vor allem durch einschüchternde Praktiken im Vorfeld wie Sachverhaltsprüfungen und „Zuführungen“ (kurzzeitige Festnahmen). Oppositionelle, die bereits die Haft in MfS-Gefängnissen durchgemacht hatten, begannen nach ihrer Freilassung, Gesinnungsfreunde auf deren mögliche Haft vorzubereiten und ihnen dadurch die Angst ein wenig zu nehmen. Gleichzeitig wuchsen die Solidaritätsbekundungen für Inhaftierte. Mehr und mehr wurde die Stasi in den 1980er Jahren somit zum Zauberlehrling; trotz quantitativ und qualitativ steigender Maßnahmen und eines immer größeren Personalbestandes (wie in der Studie auch statistisch nachgewiesen wird) wuchs die Zahl der Protestierenden.

          Basierend auf breiter, kritischer Quellenexegese und ausgezeichneter Kenntnis der umfangreichen Forschungsliteratur, ist Katrin Passens eine hochdifferenzierte Untersuchung gelungen, die nicht nur unser Wissen über „Schild und Schwert der Partei“ erweitert, sondern auch DDR-Forschung auf hohem Niveau verkörpert.

          Katrin Passens: MfS-Untersuchungshaft. Funktionen und Entwicklung von 1971 bis 1989. Lukas Verlag, Berlin 2012. 345 S., 24,90 €.

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