: Form- und Klangbewusstsein
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Seit Beginn dieser Spielzeit ist Anna Skrylewa Erste Kapellmeisterin am Staatstheater Darmstadt. Die 1975 in Moskau geborene Dirigentin, die in Hamburg Simone ...
Seit Beginn dieser Spielzeit ist Anna Skrylewa Erste Kapellmeisterin am Staatstheater Darmstadt. Die 1975 in Moskau geborene Dirigentin, die in Hamburg Simone Youngs Assistentin bei wichtigen Opernproduktionen - etwa Wagners „Ring“ - war, leitete jetzt auch das zweite Saison-Sinfoniekonzert in Darmstadt mit einem anspruchsvollen französischen Programm. Soweit es um ein durchzuhaltendes gleichbleibendes Metrum ging, wirkte ihr Dirigat manchmal noch etwas steif. Sobald aber - etwa in Olivier Messiaens frühem Orchesterwerk „Les offrandes oubliées“ - große melodische Bögen zu gestalten waren, die sie ohne Taktstock mit beiden Händen ausformte, offenbarten sich sehr schnell die Geschmeidigkeit des musikalischen Denkens und die damit verbundene Fähigkeit, die Musik atmen zu lassen.
Insofern mochte man darüber erstaunt sein, mit welch überwältigender Präzision ein so komplexes Werk wie die „Symphonie fantastique“ op. 14 von Hector Berlioz gelang: Anna Skrylewa verfügt nicht nur über Formbewusstsein und sehr klare Vorstellungen hinsichtlich Tempo, Rhythmus und Dynamik, sondern entwickelt das Werk aus einem jederzeit deutlich Akzente setzenden und Höhepunkte gestaltenden Klangbewusstsein heraus, das immer wieder zu ganz erstaunlicher Präsenz des musikalischen Geschehens führte. Das Staatsorchester Darmstadt folgte ihren Vorgaben stets auf das genaueste. Seit 19 Jahren ist Michael Schmidt Erster Soloklarinettist des Staatsorchesters. Wer ihn im Klanggetümmel des Kollektivs vielleicht noch nicht gebührend wahrgenommen hat, erhielt diesmal eine perfekte Gelegenheit, denn Schmidt war der umjubelte Solist des 1967 komponierten Konzerts für Klarinette und Orchester von Jean Françaix. Die Musik kommt mit scheinbar tändelnder Leichtigkeit und selbstverständlich scheinender Leichtigkeit daher wie viele andere Kompositionen des Franzosen. Für den Solisten hingegen bedeutet dies, zahlreiche instrumentale Schwierigkeiten zu bewältigen. Nein, unspielbar ist diese Musik wahrlich nicht. Um sie aber zu beeindruckender Wirkung zu bringen, bedarf es eines so furchtlosen Interpreten wie Michael Schmidt. Seine Deutung wird in Erinnerung bleiben.Harald Budweg