: Ein Fritz Lang der Architektur
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Es muss nicht immer der Osten sein. Auch im Westen haben wir Landstriche, deren Trostlosigkeit das Wort "neuer Aufschwung" wie blanken Hohn klingen lässt. Den Pfälzerwald beispielsweise, wo viele Orte seit dem Exitus der Leder- und Schuhindustrie am Boden liegen.
Es muss nicht immer der Osten sein. Auch im Westen haben wir Landstriche, deren Trostlosigkeit das Wort "neuer Aufschwung" wie blanken Hohn klingen lässt. Den Pfälzerwald beispielsweise, wo viele Orte seit dem Exitus der Leder- und Schuhindustrie am Boden liegen. Kaiserslautern, Zentrum der Region, kämpft: Die Textilbranche ist geschrumpft, das metallverarbeitende Gewerbe reduziert, die Bedeutung als Standort der amerikanischen Truppen schwindet. Zum Ausgleich müht man sich, teils erfolgreich, Standort der Informationstechnologie zu werden.
Deshalb hat Kaiserslautern sich den Namen "Silicon Woods" zugelegt. Er spielt auf die herrliche Lage inmitten bewaldeter Hügel an, die bis in die Stadt reichen, wo sie die Dürftigkeit der Wiederaufbauarchitektur kaschieren. Inzwischen tarnt der Grünschleier auch aktuellen Niedergang. Zum Beispiel an der Straße nach Mainz: Nur Ortskundige erkennen im Gewirr alter Bäume, das an einer Stelle die Tankstellen, Gebrauchtwagengehege und Imbissbuden unterbricht, Reste eines Parks. In ihm steht, am Ende einer verwilderten Birkenallee, die Villa Glaeser - oder das, was von ihr übrig ist. Verfallsromantik fehlt trotz Hainen und eines Flüsschens, das sich dicht am Gebäude durch Wiesen schlängelt: Auf den drei raffiniert gestaffelten Kuben der Villa modern Plastikplanen, die Fenster sind verbrettert, die Terrassen bröseln und der Verputz, den die Witterung von hellem in krankfahles Rosa verwandelt hat, fällt in breiten Placken ab. Bauherr des Anwesens war Max Glaeser, Emaille-Fabrikant und Kunstsammler. Als Architekten beauftragte er Hans Herkommer aus Stuttgart. Doch was dieser 1927, im Jahr der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, baute, hat nur vordergründig mit der Strenge von Mies van der Rohe, Mart Stam oder Le Corbusier zu tun. Hans Herkommer mischte, analog der Vorliebe seines Bauherrn für die seinerzeit schon klassische Moderne eines Max Liebermann oder Renoir, traditionelle Elemente in den Bau. Da ist beispielsweise die parkseitige Westfassade. Leicht überragt vom zurückgesetzten Treppenhaus- und Dienstbotentrakt, der als modern ernüchterter Tempelpylon wirkt, bietet sie, südlich von einem eingeschossigen dritten Kubus eingefasst, eine pathetische Mittelachse. Diese wird von drei gut proportionierten Terrassentüren markiert, über denen ein langgezogener Balkon vor fünf scharf eingeschnittenen Bögen auskragt.
Was heute als dezenter Schmuck erscheint, war 1927 ein extrem bedeutungsgeladenes Motiv: Solche Bogenstellungen schmückten, wie bei Herkommer kombiniert mit niedrig ummauerten Terrassen und flachen Stufenfolgen, oft die Ehrenmale für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs - und damit die meistdiskutierten Architekturaufgaben der zwanziger Jahre. Dass Herkommer diesen Totenkult umstandslos auf ein Privathaus übertrug, ist unwahrscheinlich. Er dürfte sich eher an den damals berühmten Berliner Theaterkulissen Hans Poelzigs und den Filmbauten Fritz Langs orientiert haben, die, der eine mit magischen Bögen für Hofmannsthals "Jedermann", der andere mit denen der Nibelungenburg, das reale Bauen anregten. Gleiches gilt für das Miteinander von Pylon und Haupthaus. Erprobt in spektakulären Großbauten wie Ernst Otto Oßwalds Stuttgarter Tagblatt-Turm von 1928, erhielt es mit Eduard Jobst Siedlers Erweiterungsbau der Berliner Reichskanzlei Staatswürde.