: Saubere Stahlerzeugung
Werkstoff Stahl: Der hohe CO2-Ausstoß bei der Stahlerzeugung soll in Zukunft kontinuierlich reduziert werden. Bild: KaganOZDEMIR/istock/Thinkstock
Ein Ersatz für den Kohlendioxidprozess im Hochofen ist die ambitionierteste Herausforderung.
Seit Jahrhunderten wird Eisen im Prinzip auf dieselbe Weise hergestellt. Im Kern geht es darum, den Rohstoff Eisenerz zu Eisen zu reduzieren. In neueren Zeiten wird dieses Roheisen zudem auch noch von allen störenden Elementen gereinigt. Das Ergebnis ist ein Stahlwerkstoff, der vielseitig verwendet wird und der aus der Welt nicht mehr wegzudenken ist. Die Methode zur Stahlherstellung ist also lang erprobt und immer wieder verbessert worden. Sie ist deshalb auch besonders kosteneffektiv. Ein Grund, weshalb Stahl in vielen Anwendungen der Werkstoff der Wahl ist.
Und doch gibt es da ein Problem: Bei der Stahlherstellung über die konventionelle auf den Einsatz von Eisenerz basierende Verfahrensroute - also über einen Hochofen, in dem das Eisenerz zu Roheisen geschmolzen wird, und einen Stahlkonverter, in dem das Roheisen weiter gereinigt wird – entstehen prozessbedingt klimaschädliche Gase, vor allem Kohlendioxid (CO2). Je Tonne Rohstahl werden rund 1,7 Tonnen an CO2-Emissionen erzeugt. Das meiste CO2 entsteht dabei in einem chemischen Prozess, der im Hochofen stattfindet. Denn es ist nicht die Hitze, die aus Eisenerz Eisen macht. Vielmehr muss der Sauerstoff im Eisenerz abgespalten werden. Meistens wird dazu heute der in Kokereien aus Kohle hergestellte Koks eingesetzt. Er wird im unteren Teil des Hochofens mit heißer Luft erhitzt und vergast mit dem Sauerstoffgehalt der Luft zum Reduktionsgas Kohlenmonoxid. Das Gas steigt nach oben und bindet den im Eisenerz enthaltenen Sauerstoff, wobei es sich zum Kohlendioxid (CO2) wandelt. Das flüssige Roheisen wird anschließend in einem Konverter zu Rohstahl, indem man durch Einblasen von Sauerstoff weitere störende Bestandteile wie beispielsweise Kohlenstoff-, Silicium-, Phosphor- oder Schwefelpartikel entfernt.
Schon seit geraumer Zeit wird in der Stahlbranche darüber nachgedacht, wie man diese Emissionen vermindern oder ganz vermeiden kann. Eine Möglichkeit besteht darin, als Rohmaterial statt Eisenerz Stahlschrott zu verwenden und in der so genannten Elektrostahlroute zu verarbeiten. Hier wird der Schrott in einem Elektrolichtbogenofen bei hohen Temperaturen geschmolzen. Graphitelektroden leiten dabei den elektrischen Strom und erzeugen den Lichtbogen, der die elektrische Energie mit sehr gutem Wirkungsgrad und hoher Energiedichte in Schmelzwärme umwandelt. Da dieses Verfahren ohne Eisenerz auskommt, entsteht im eigentlichen Prozess auch so gut wie kein CO2. Allerdings wird bei diesem Verfahren sehr viel Strom benötigt, Strom, der heute noch größtenteils aus Kohlekraftwerken kommt. Die CO2-Emissionen sind also bereits zu einem früheren Zeitpunkt angefallen. Erschwerend kommt hinzu, dass es auf der Welt nicht annähernd genug Schrott gibt, dass man auf Eisenerz verzichten könnte. Das Verfahren eignet sich also nicht als vollständiger Ersatz für den Hochofen. Von der gesamten deutschen Stahlproduktion 2017 von 42,1 Millionen Tonnen wurde nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl nur knapp ein Drittel über die Elektrostahlroute auf Schrottbasis hergestellt. Weltweit ist der Anteil noch geringer.
Neuerdings geht die Forschung der Stahlunternehmen auf der Suche nach einer Lösung des CO2-Problems in zwei Richtungen. Die einen versuchen, das schädliche Gas gar nicht erst entstehen zu lassen, indem sie nach einem Ersatz für Kohlenstoff in der Eisenerzreduktion suchen. Die anderen erforschen Möglichkeiten, wie das anfallende CO2 in chemische Produkte umgewandelt und damit unschädlich gemacht werden kann.
Zauberwort Wasserstoff
Kohlenmonoxid ist nicht das einzige Reduktionsmittel, das den Sauerstoff im Eisenerz an sich bindet. Wasserstoff kann das auch. Der Charme dabei ist: Nimmt ein Wasserstoffmolekül Sauerstoff vom Eisenerz auf, verwandelt es sich in Wasserdampf – und ist also vollkommen unschädlich. Doch auch hier gibt es ein Problem. Wasserstoff kommt in reiner Form nicht vor. Er muss in einer Elektrolyse hergestellt werden, indem man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. Dieser Prozess ist extrem energieintensiv. Er macht aber nur Sinn, wenn die dafür notwendige elektrische Energie keine eigene CO2-Fracht hat, mithin also auf „grünem“ Weg gewonnen wurde. Genau das hat sich der österreichische Stahlhersteller Voestalpine mit seinem Projekt „H2Future“ zum Ziel gesetzt. Im April gab er den Startschuss zum Bau einer Pilotanlage am Standort Linz, in deren Elektrolyse ausschließlich „grüner“ Wasserstoff hergestellt werden soll. Vorstandschef Wolfgang Eder bezeichnete sie als Meilenstein auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie.
Wasserstoff als Reduktionsmittel wird nicht im klassischen Hochofen eingesetzt sondern in einer so genannten Direktreduktionsanlage auf Basis eines Schachtofens. Hier wird das Eisenerz nicht bei 1500 Grad Celsius geschmolzen, der Sauerstoff der Eisenerze wird vielmehr in trockenem Zustand bei Temperaturen bis 1000 Grad abgebaut. Übrig bleibt eine teigige Masse, die in einem Elektrolichtbogenofen zu Rohstahl geschmolzen wird, wobei unerwünschte Begleitelemente der Eisenerze wie etwa Aluminiumoxid und Siliziumoxid über die Schlacke abgetrennt werden. Dieser Prozess ist nicht neu, er wird bislang aber hauptsächlich mit Erdgas als Reduktionsmittel eingesetzt.
Neben Voestalpine arbeiten auch die Stahlhersteller Salzgitter und die schwedische SSAB an Möglichkeiten, Kohlenstoff bei der Eisenerzreduktion durch Wasserstoff zu ersetzen. Die Schweden haben erklärt, bis 2045 nur noch CO2-freien Stahl zu erzeugen. „Eine der größten Herausforderungen wird es sein, die nötigen Mengen an grüner elektrischer Energie zu haben, um den benötigten Wasserstoff herzustellen“, sagt Dr. Hans Bodo Lüngen, der das Ressort Technik im Stahlinstitut VDEh leitet. Denn die Stahlproduktion mit Wasserstoff über eine Direktreduktion hat auch einen Haken. Man braucht etwa acht Mal so viel Strom wie bei einer Stahlerzeugung auf Schrottbasis und etwa 25 Mal so viel wie über die Hochofen-Konverter-Route. Der Großteil des Stroms wird dabei für die Wasserstoffherstellung gebraucht. Deshalb ist es so wichtig, diese Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen.
Auch wenn man das schaffte, wird es nicht einfach werden, die nötigen Mengen herzustellen. Denn auch für die Energiewende, die Wärmewende und die Verkehrswende wird in Zukunft überall „grüner“ Strom gebraucht. Bislang machen regenerative Energien nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums aber erst ein Drittel der Stromerzeugung in Deutschland aus.
Amerikanische Stahlforscher versuchen, die Dekarbonisierung im Hochofen ohne Wasserstoff zu erreichen. Sie wollen das Rohmaterial Eisenerz in einer Elektrolyse direkt durch den Einsatz von elektrischer Energie trennen. Dieser Ansatz steckt aber noch in den Kinderschuhen. Über Laborversuche ist man dort noch nicht hinausgekommen.
Wertstoff statt Klimakiller
Der deutsche Branchenprimus Thyssenkrupp geht den anderen Weg. Er will sämtliche in der Hütte anfallenden Gase - neben CO2 vor allem Stickstoff und Kohlenmonoxid, aber auch Wasserstoff - auffangen und für die Produktion chemischer Grundstoffe weiterverwenden. Bislang werden diese Gase zwar schon zur eigenen Stromerzeugung verbrannt. Aus dem Abgas der Hütte sollen künftig aber auch Vorprodukte für Kraftstoffe, Kunststoffe oder Düngemittel werden. Die für die chemischen Prozesse benötigte Energie soll aus erneuerbaren Quellen kommen. Zwei Anwendungsbeispiele: Aus dem Stickstoff und Wasserstoff der Hüttengase lässt sich Ammoniak herstellen, aus dem Kohlenstoff und Wasserstoff bekommt man Methanol. Durch die Wiederverwendung der Gase entfällt die Notwendigkeit, für diese Produkte natürliche fossile Vorkommen anzuzapfen.
Für sein auf zehn Jahre angelegtes Projekt „Carbon2Chem“ hat sich Thyssenkrupp mit Chemie- und Energieunternehmen und einigen Forschungsinstituten zusammengeschlossen. Ein Ziel ist es, 20 Millionen Tonnen des jährlichen deutschen CO2-Ausstoßes der Stahlbranche wirtschaftlich nutzbar zu machen – also gut ein Drittel. Am Stahlstandort Duisburg ist inzwischen eine Pilotanlage fertig gestellt.
Auch der weltgrößte Stahlhersteller ArcelorMittal setzt auf die Umwandlung klimaschädlicher Gase in chemische Grundstoffe. In seinem Stahlwerk im belgischen Gent stellt er zum Beispiel aus dem in den Hüttengasen enthaltenen Kohlenmonoxid Ethanol her. Die Wiederverwertung des Gases geschieht durch einen Gärungsprozess, in dem Mikroben eingesetzt werden. Das Verfahren wurde von der Firma LanzaTech entwickelt. Jede so produzierte Tonnen Ethanol ersetzt nach Unternehmensangaben 5,2 Barrel Benzin und mindert den CO2-Ausstoß bei ArcelorMittal um 2,3 Tonnen.
Im Unterschied zur Wiederverwertung von Kohlenstoffen (englisch: Carbon Capture and Usage CCU) wird auch an Möglichkeiten geforscht, das CO2 unterirdisch zu lagern und damit den Ausstoß in die Luft zu vermeiden (Carbon Capture and Storage CCS). Diese Lagerung ist aber in der Politik und in der Öffentlichkeit umstritten.
Alle Projekte zur Vermeidung von CO2-Emissionen werden von dem Ziel der EU-Kommission getrieben, den CO2-Ausstoß in der Union drastisch zu senken. Ob das letztlich auch wirtschaftlich machbar ist, ist noch offen.