: Für mehr Gesundheitskompetenz in Deutschland
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Gesundheit hängt von mehreren Faktoren ab: Bildung ist ein entscheidender. Bild: Trueffelpix/Adobestock
Gesundheitsinformationen zu verstehen und Zusammenhänge zu begreifen fällt vielen Menschen schwer. Die Pandemie hat diese Problematik, unter anderem aufgrund von Fehlinformationen und zu kompliziert dargestellten Sachverhalten, verschärft. Um dem entgegenzuwirken, braucht es vor allem Bildung.
Wenn es noch eines Beweises bedurfte hätte, dann hat ihn die Corona-Pandemie jetzt geliefert: Es ist lebenswichtig, ja geradezu überlebenswichtig, kompetent mit Informationen zu Gesundheit und Krankheit umzugehen. Gerade in einer Ausnahmesituation wie der jetzigen ist es von entscheidender Bedeutung, die richtigen Informationen zu finden, ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können, Sachverhalte richtig zu verstehen, deren Bedeutung zu beurteilen, sie gezielt auf die eigene Situation zu übertragen und für das persönliche Verhalten zu nutzen.
Informationen werden häufig nicht verstanden
Der Begriff der Gesundheitskompetenz findet seinen Ursprung in der internationalen Debatte um „Literacy“. Die Kernidee: Menschen brauchen nicht nur ein Mindestniveau von Fähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens. Sie müssen in einer komplex gewordenen Gesellschaft zudem gut alphabetisiert sein, um alltägliche Lebensanforderungen zu bewältigen. Das gilt auch für die Gesundheit. Um körperlich und psychisch fit zu bleiben, muss sich ein Mensch richtig ernähren, sich viel bewegen und seinen Tagesrhythmus angemessen auf die körperliche und psychische Konstitution abstimmen. Im Falle einer Krankheit ist es notwendig, sich an der richtigen Stelle Hilfe holen zu können und sich dafür durch ein hochdifferenziertes und spezialisiertes Gesundheitssystem zu navigieren. Kurzum: All das verlangt eine hohe Health Literacy, oder übersetzt: Gesundheitskompetenz. Diese Kompetenz ist in Deutschland nicht gut ausgeprägt. In wiederholten Studien der Universität Bielefeld und der Hertie School in Berlin stellte sich heraus: Über die Hälfte der Bevölkerung erreicht kein befriedigendes oder wenigstens ausreichendes Kompetenzniveau. Ein gefährliches Defizit, das viele Verunsicherungen, aber auch hohe Kosten verursacht.
Diese Kosten werden oft übersehen. Das ist fahrlässig, denn die erwähnten Studien zeigen auch: Wer eine geringe Gesundheitskompetenz hat, verhält sich objektiv ungesünder. Die Folgen machen sich in Übergewicht, vermehrtem Tabak- und Alkoholkonsum, weniger Bewegung und einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Fehltagen am Arbeitsplatz bemerkbar. Das wiederum führt dazu, dass Menschen das Gesundheitssystem übermäßig häufig nutzen. Es kommt zu vermehrten Krankenhausaufenthalten und Arztbesuchen. Gleichzeitig ist es für die Betroffenen schwer, die Informationen und Empfehlungen des medizinischen und des Pflegepersonals richtig zu verstehen. Ein unbefriedigender Kreislauf von Widrigkeiten, denn geringe Gesundheitskompetenz heißt auch immer, dass der Bürger seine Rolle als mündiger Patient in einem sich demokratisierenden Gesundheitssystem nicht souverän spielen kann, sondern von den Anforderungen überrollt wird.
Gesundheitskompetenz des Einzelnen fördern
Um dieser fatalen Entwicklung gegenzusteuern, erarbeiteten Experten vor drei Jahren einen Nationalen Aktionsplan zur Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland. In ihm präsentierten sie den internationalen Forschungsstand, um daraus fünfzehn Empfehlungen abzuleiten. Diese beinhalten unter anderem Maßnahmen, die die gesundheitliche Aufklärung in Kindergärten und Schulen verbessern und das betriebliche Gesundheitsmanagement stärken sollen. Weiterhin empfehlen die Experten, kommunale Angebote zu unterstützen, und fordern eine bessere, vertrauenswürdige und neutrale Aufbereitung von Gesundheitsinformationen in den Medien. Auch für das Gesundheitssystem machen sie eine Reihe an konkreten Vorschlägen, die samt und sonders darauf abzielen, es nutzer-freundlicher und gesundheitskompetenter zu gestalten. So wird zum Beispiel von Krankenhäusern und Arztpraxen gefordert, dass sie sich besser organisieren, interne Abläufe transparenter machen und die Orientierung von Patienten erleichtern. Vor allem aber sollen sie ihre Kommunikation und Information verbessern, beispielsweise indem sie eine Offensive für mehr Verständlichkeit starten.
Wie wichtig allein dies ist, zeigt eine kürzlich erschienene Studie: Fast 47 Prozent der repräsentativ ausgewählten Befragten finden es demnach schwierig, Begriffe zu verstehen, die Ärzte verwenden. Weitere 34 Prozent haben Probleme, zu beurteilen, inwiefern die Informationen des Arztes überhaupt auf sie zutreffen. Diese Schwierigkeiten und Probleme summieren sich naturgemäß bei Menschen mit chronischen Erkrankungen oder mit anderen langan-dauernden Beeinträchtigungen.
Komplexität und Falschmeldungen überfordern die Laien
In Zeiten der Pandemie erhalten die Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans eine ungeahnte Dringlichkeit. Das Problem der Überforderung der Bevölkerung durch komplexe Gesundheitsinformationen hat sich zugespitzt. Noch mehr Menschen als zuvor haben Schwierigkeiten, sich durch die Vielzahl an Informationen durchzukämpfen. Sie sind durch die riesige Informationsschwemme über die Pandemie überfordert und verzweifeln an der „Infodemie“, wie die Weltgesundheitsorganisation dieses Phänomen nennt.
Und noch etwas anderes wird zum Problem: Schon die seriösen Informationsangebote sind so vielfältig, dass man sie zuweilen nicht richtig einordnen kann. Daneben gibt es immer mehr Fake News, die sich viral im Netz verbreiten und für Verunsicherung sorgen, ja sogar zur Fehleinschätzung der aktuellen Lage und zu Panikhandlungen führen können. Wer die Übersicht behalten will, muss an Dutzenden verschiedenen Orten recherchieren, um eine bestimmte Information zu finden. Meist passt sie nicht genau für die jeweilige persönliche Fragestellung und Problemlage.
Herausforderung: den Bildungsgrad in der Breite erhöhen
Wie gesund ein Mensch ist, hängt heute sehr stark von seiner persönlichen Fähigkeit ab, sich mit den zur Verfügung stehenden Informationen über Gesundheit und Krankheit auseinanderzusetzen. Ob während der Pandemie oder danach: Verlangt wird in der volatilen demokratischen Gesellschaft von heute nicht nur der politische Bürger, sondern auch der Gesundheitsbürger. Objektives und subjektives Wohlbefinden sind nur möglich, wenn man alle Prozesse einschätzen und beurteilen kann, die für Gesundheit und Krankheit verantwortlich sind. Der eindeutig wichtigste Faktor dafür ist der Bildungsgrad – auch das ist ein Ergebnis der Forschung in diesem Bereich. Je besser gebildet ein Mensch ist, desto eher ist er in der Lage, die meist sehr komplexen Informationen zu verstehen, einzuschätzen und so zu verarbeiten, dass sie konstruktiv für die eigene Gesundheitserhaltung genutzt werden können. Deshalb steht dieser Punkt auch an erster Stelle der Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans, der damit aktueller denn je ist. Denn auch die Frage, wie sich Gesundheitskompetenz stärken und fördern lässt, wird darüber entscheiden, wie unsere Gesellschaft mit der Pandemie und ihren Folgen umgehen wird.
Professorin Dr. Doris Schaeffer ist Ko-Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung der Universität Bielefeld und arbeitet als Senior-Professorin an der dortigen Fakultät für Gesundheitswissenschaften.
Professor Klaus Hurrelmann arbeitet im Bereich Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin.