: „Das Wichtigste im Leben mit Behinderung sind Ziele und Träume“
Bild: privat
Für Menschen, die mit der genetisch bedingten Erkrankung spinale Muskelatrophie geboren wurden, gibt es erst seit 2017 eine Therapie. Ein Gespräch mit dem SMA-Patienten Matthias Küffner, der trotz seiner Einschränkungen ein glückliches und zufriedenes Leben führt.
Herr Küffner, was treibt Sie an, sich tagtäglich den Herausforderungen Ihrer Krankheit zu stellen?
Ich fühle mich nicht krank oder behindert! Mein Leben ist eingeschränkt, und ich kann manche Dinge nicht tun wie andere. Doch oft schränken mich die Barrieren in den Köpfen anderer Menschen oder bauliche Gegebenheiten stärker ein als mein Körper. Seit über vier Jahrzehnten lebe ich mit der Einstellung, dass ich trotz meines Handicaps sehr vieles erreichen und glücklich leben kann. Ein Lebensmotto ist für mich: „Anderen zu zeigen, dass es trotzdem geht.“ Ich habe mich noch nie in Bett oder Zimmer verschanzt und darauf gewartet, dass mein Ende kommt. Ich möchte anderen Menschen, die mit „nur kleineren“ Einschränkungen leben, zeigen, dass man trotz schwerster körperlicher Einschränkung glücklich und zufrieden sein kann. Schon immer war ich sehr aktiv in Sachen Beruf, Ehrenamt und freizeitlicher Gestaltung. Hinzu kommt, dass ich eine unübertreffliche Familie, wunderbare Freunde und Assistenzkräfte habe, die mich durch das Leben begleiten, mir Freude und Zuversicht schenken. Selbstverständlich ist auch meine berufliche Tätigkeit ein wichtiger Baustein, mit dem Handicap zurechtzukommen. Ich arbeite im Support einer Firma, die elektronische Hilfsmittel herstellt. So kann ich Tag für Tag die Lebensqualität anderer schwerstbehinderter Menschen verbessern. Die Tätigkeit gibt mir außerdem die Möglichkeit, meine Erfahrungen in die Entwicklung neuer Produkte einzubringen und vielleicht selbst davon einen Nutzen zu ziehen. Irgendwann möchte ich auch wieder einen Hund als Lebensbegleiter haben. Dieser fordert zwar Zeit, die vor oder nach dem Büro eingeplant werden muss, gab mir aber gleichzeitig einen unersetzlichen emotionalen Ausgleich.
Sie sind in den Rollstuhl gezwungen und auf eine Pflegekraft angewiesen. Dennoch gehen Sie einem Beruf und verschiedenen Hobbys nach. Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
In der Regel klingelt mein Wecker morgens um 6 Uhr. Die anschließenden Pflegetätigkeiten sowie die Mobilisation in den Rollstuhl beanspruchen dann rund 50 bis 80 Minuten. Während des Frühstücks, welches ebenfalls knapp eine Stunde in Anspruch nimmt, bereite ich mich geistig auf die Termine des Tages vor und erledige meine privaten E-Mails. Um 8.30 Uhr ist an Werktagen Schichtwechsel der Assistenzkräfte, und wir fahren ins Büro, in dem ich sechs bis sieben Stunden an vier Tagen die Woche arbeite. Anschließend werden Erledigungen wie Arzt, Apotheke und Einkaufen durchgeführt oder die Physiotherapie wahrgenommen. Gegen 19 Uhr esse ich zu Abend und arbeite noch etwa zwei bis drei Stunden am PC: Ich organisiere meine Assistenz, Benefizveranstaltungen oder erledige ehrenamtlich meine anfallenden Aufgaben für die Tätigkeit im Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. Zudem gehe ich gerne zu Konzerten, ins Kino, zu öffentlichen Veranstaltungen sowie auf Volks- und Mittelalterfeste. Ich genieße es, gut essen zu gehen oder mit Freunden und Bekannten einen geselligen Abend zu verbringen. Letztlich liebe ich Tiere sehr und habe deshalb auch eine Katze sowie Fische.
Seit einem Jahr werden Sie von Dr. Claudia Wurster mit einem neuen Wirkstoff behandelt. Welche Effekte zeigt die Therapie bei Ihnen?
Die physiologischen Verbesserungen sind eindeutig. Den größten Gewinn ziehe ich durch ein vergrößertes Lungenvolumen und eine starke muskuläre Verbesserung meiner beiden wichtigsten Finger, mit denen ich nicht nur den Rollstuhl steuere, sondern auch den Computer bediene. So kann ich leichter und effizienter arbeiten und den Rolli sicherer fahren. Außerdem kann ich nun meinen Kopf besser halten und drehen, die Schultern im Wasser besser bewegen und verspüre einen gesteigerten Appetit. Gerade die Nahrungsaufnahme ist leichter geworden, weil ich besser kauen und schlucken kann. Daneben hat sich mein psychisches Wohlbefinden verbessert. Bis vor zwei Jahren galt mein Handicap, welches fortschreitend ist, als untherapierbar. Ärzte sagten meinen Eltern vor 46 Jahren, dass meine Lebenserwartung bei vier bis sechs Jahren liegt. Ich, der nie den Gedanken an ein langes Leben und auf graue Haare hegen durfte, darf heute auf ein weiteres langes und glückliches Leben als Silver Ager hoffen!
Was wollen Sie Menschen mit Behinderung mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste im Leben mit Behinderung ist, Ziele und Träume zu haben und daran zu arbeiten, diese zu verwirklichen. Daraus habe ich schon sehr viel Lebensmut geschöpft, und das Erreichen eines solchen entscheidenden Ereignisses gibt mir weitere Kraft. So habe ich zum Beispiel immer dafür gekämpft, die Forschung gegen neuromuskuläre Erkrankungen zu unterstützen, damit es irgendwann eine Therapie gibt, oder einmal mit einem Flieger über meine Heimat zu fliegen. Beides ist gelungen. Kämpfen, vorbildlich handeln, nicht unterkriegen lassen, an scheinbar unerreichbare Ziele zu glauben und das Leben in größtmöglichem Maße genießen sind die Erfolgsgaranten für Glück und Zufriedenheit.