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Wanderungen in der Zentralschweiz eröffnen Welten: Zu Postkartenpanoramen, Käsereitraditionen und unverhofften Begegnungen
Schon bevor man die Wanderschuhe schnürt, ist das Panorama überwältigend. Die Berge ganz groß, wir ganz klein. Übermächtig ragt der Titlis, den man einst für den höchsten Berg der Schweiz hielt, über Engelberg in die Höhe, zieht sich mit seiner schneebedeckten Spitze bis hoch zu den Wolken, wo Weiß in Weiß übergeht. Magisch fast. Wie überhaupt sehr viel sehr magisch ist in dieser Zentralschweizer Region – in der es natürlich zartschmelzende Schokolade gibt und dunkel läutende Kuhglocken. Aber eben auch viel mehr.
In Engelberg fangen die Wanderrouten direkt im Ortszentrum an, die Wege führen in alle Himmelrichtungen. Und übersinnlich ist schon die Geschichte hinter dem Ortsnamen: Vor ungefähr 900 Jahren erschien Ritter Konrad von Sellenbüren in einem Wald, in dem nicht nur Speisepilze wachsen, ein Engel, der ihm den Auftrag gab, an diesem Ort ein Kloster zu bauen. Seither gibt es das Kloster, seither heißt Engelberg Engelberg, und wurde in den 1920er-Jahren als mondäne Reisedestination bekannt, in dem auch die Mönche Ski fahren. Die Gäste kamen aus aller Welt, zum Wandern, zum Skifahren, so wie sie es bis heute tun. Es gab „Tea Rooms“ und „Dancings“ und jedes Grand Hotel hatte seine eigene Eislaufbahn. Heute gibt es davon noch ein paar, das Hotel Terrace zum Beispiel thront an einem Nordosthang. Es sieht aus wie das Grand Hotel Budapest aus dem gleichnamigen Film von Wes Anderson, der bekannt ist für seine märchenhaften Puppenstubenwelten.
Ganz bodenständig geht es dafür am Berg zu, auf der Gerschnialp bei Anselm Sälmi Töngi, 63 Jahre alt. In der ganzen Schweiz ist der Mann mit der Käppi bekannt für seinen Käse. Besonders für den „Sbrinz“, ein harter Rohmilchkäse, der hier auf der Hütte hergestellt wird, in Riesenkesseln, von denen der größte 2500 Liter Milch fasst und im Frühjahr jeden Tag gefüllt wird. Wanderer können Sälmi beim Käsen zuschauen, wenn sie früh am Morgen schon da sind. Und wenn sie Glück haben, führt er sie in Kittel und weißen Gummistiefeln in seinen heiligen Keller: Hunderte Käselaiber lagern hier, runde Goldbarren, jeder 40 oder 45 Kilo schwer, etwa 1000 Franken wert. Das Geheimnis für den leckeren Käse verrät er auch beim Verkosten auf der Sonnenterasse nicht. Nur so viel: Es kommt darauf an, wie lange er im Salzbad schwimmt, wie feucht oder trocken er gelagert wird, welche Bakterien am Werk sind. Käse ist ein großes Thema in der Schweiz, auch in diversen Heimkäsereien, bei Rita und Sepp auf der Brunnialp zum Beispiel, auf der gegenüber liegenden Seite von Engelberg. Die beiden sind, ebenso wie Sälmi, Teil eines ganzen AlpkäseTrails: Rund um den Engelberg produzieren acht Alpkäsereien während des Sommers feinsten Alpkäse – also handgemachter Käse aus der Milch von Kühen, Schafen oder Ziegen, die auf einer Alp weiden.

Der Trail ist eine neue Mehrtageswanderung, die Hauptstrecke ist etwas länger als ein Marathon, aber sie eignet sich für ambitionierte Wanderer genauso wie für Familien und (E-)Biker, weil sie in kurze Etappen und Ausflüge aufgeteilt werden kann. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es dafür natürlich auch, in Engelberg selbst oder auf der Fürenalp, Surenen, Stäfeli, Ristis, Blackenalp oder der Gerschnialp. Auf dem Trail können die Wanderer nicht nur die Besonderheiten der verschiedenen Käsesorten kennen- und schmecken lernen, sondern auch die Menschen dahinter.
Bei Rita in der Brunnialp hängt in der Küche mit dem niedrigen Dach ein Kessel neben dem Herd. Hier rührt sie Milch von ihren Kühen und Ziegen zu Käse. Auf der Speisekarte gibt es kaum ein Gericht ohne Käse, 170 Gramm sind dabei die kleine Portion. Während Rita die „Zabigplatte“, also die Abendbrotplatte, zubereitet, bläst ihr Mann Sepp auf dem Alphorn und die schroffen grauen Felswände antworten ihm mit ihrem Echo. Erst später, im Lift, ist es still. Wie still, merkt man erst, wenn man die Augen zumacht. Dann hört man den Wind, der pfeift, als hätte er eine Zahnlücke. Dazwischen das Pfeifen der Murmeltiere, die noch nicht im Winterschlaf sind. Das Knirschen von den dicken Rädern der Mountainbiker im Kies. Manchmal muss man seine Augen zumachen, weil man es nicht aushält, so kitschig schön ist es. Die Farben so kontrastreich, zu perfekt die Anordnung von Bergen, Wolken, Hütten und herbstbunten Bäumen.
Erst später, im Lift, ist es still. Wie still es ist, hört man erst, wenn man die Augen zumacht. Dann hört man den Wind, der pfeift, als hätte er eine Zahnlücke.
Und so märchenhaft bleibt das Panorama auch, wenn man wieder unten angelangt ist und sich auf die Reise Richtung Weggis macht. Die gut einstündige Autofahrt führt durch die Berge, die Route schlängelt sich auf dem Navigationsgerät wie das Band einer Turnerin. Bis dann der glitzernde See vor einem liegt und die Landschaft mit der berühmten Rigibahn wieder an ein Märchenland erinnert: Auch diese älteste Bergbahn Europas sieht aus wie aus einem Wes Anderson-Film. Vor mehr als 140 Jahren wurde sie in Betrieb genommen und fährt steil hinauf vom Ort Vitznau nach Rigi Staffelhöhe auf fast 2000 Metern Höhe. Aber noch unten im Tal wird klar, dass die Rigi ein einzigartiges Naturgebiet ist, mit ihren zahllosen Gipfeln, Tälern, Alpen und Fluren, Wäldern, Wiesen und imposanten Felsabhängen. Am schönsten ist es am frühen Morgen, wenn in schmalen Strahlen die Sonne durch den Nebel bricht und sie Streifen grüner Berghügel anstrahlt, als wären sie ein Filmset. An der Station freundliche Menschen mit Kappe, die sich duzen, schäkern und Fahrkarten kontrollieren. Auf dem Weg nach oben immer wieder kleine Holzhütten, Wartestationen für Wanderer und Anwohner. Die Bahn gleitet durch den Nebel, bis sie die milchige Wand durchbricht. Dicht und weiß und federkissengleich liegen die Wolken jetzt unter einem, felsige Bergspitzen schwimmen im weißen Meer. Auf halber Höhe geht der Zauber weiter: Auf 1130 Metern Höhe, hinter einem mächtigen Felsen mitten in der Schweiz ein vanillegelbes Schindelhaus, die Stiftung Felsentor, ein Zentrum für Zen-Buddhismus.

Stätte der Begegnung – mit Menschen, Tieren, der Natur, sich selbst

Manfred Hellrigl und elf Mitbewohner leben da, wo das Essen noch auf Eseln kommt – die Rigi ist autofrei. Der Mittfünfziger leitet die Stiftung, eine „Stätte der Begegnung – mit Menschen, Tieren, der Natur, sich selbst“, wie er sagt. In seinem jeansblauen Samu-e, dem Arbeitsgewand der ZenBuddhisten, führt Hellrigl über das Gelände. Ein Seminarhaus mit Panoramaterrasse und veganer Küche. Daneben ein Meditationsgebäude in klassischer japanischer Architektur, sieben Holzarten aus Japan stecken in dem Haus. Die Räume, mit hellem Holz ausgekleidet, sind geladen mit Energie, perfekt für Yogakurse, Schweigeseminare, Meditationsretreats. Leute mit Burnout kommen her, andere, um sich selbst zu finden oder Yogakurse zu besuchen. „Vanja hat ein Händchen für Kraftorte“, sagt Hellrig. Vanja Palmers ist Mitbegründer des Zentrums und einer der Erben des Unterwäscheimperiums, der schon der „gefährlichsten Mann der Schweiz“ in der Presse genannt wurde: Nach einer psychedelischen Erfahrung schwor er dem großen Geld ab, und investierte sein Millionenerbe in seine Meditations-, Tierschutz- und Drogenprojekte: Weltweit und an der Uni Zürich wird zunehmend die Wirkung psychedelischer Substanzen an Probanden erforscht.
Oft ist Palmers der Geldgeber und Ermöglicher. Aber auch als Wanderer und ohne Drogenexperimente profitiert man von Palmers Engagement. Man kann auf Vertrauensbasis ein paar Münzen in die Kasse des Gartenrestaurants werfen, sich einen Kaffee nehmen und ewig in den Horizont blicken, in dem der Vierwaldstädter See und der Himmel zu einem Blau verschwimmen. Und hinterher ist der Besuch bei Benediktinerschwester Theresa, ihrer Tierschutzstelle und dem mutmaßlich ältesten Schwein der Schweiz, Pflichtprogramm: Anton ist 13, und mag am liebsten Äpfel und Vollkornbrötchen. Ein rosa 300-Kilo Koloss, und der Held der Rigi. Für die Nonne bedeuten die Tiere alles. Wenn sie „Heaven“, ein brünett-blondes Schaf, streichelt und seine Geschichte erzählt, ist sie ganz woanders. Erzählt, wie Heaven zu ihr kam, drei Tage alt. Sie ihn in einem Kinderlaufstall aufzog, und alle zwei Stunden mit Milch fütterte. „Er ist aber nie ein richtiges Schaf geworden, er fühlt sich immer ein bisschen fremd“, sagt Theresa. Und ist hier doch genauso zu Hause wie all die Ziegen, rumänischen Straßenhunde, ein Huhn namens Wonder oder der graubunte Nackthalshahn.


Er ist aber nie ein richtiges Schaf geworden, er fühlt sich immer ein bisschen fremd.
Er ist aber nie ein richtiges Schaf geworden, er fühlt sich immer ein bisschen fremd.

Wandert man noch ein Stück weiter nach oben, öffnet sich das Panorama nach allen Seiten, und man gelangt zum Kräuter Hotel Edelweiß. Hier gibt es keine Tiere. Dafür haben sich Gabriella und Gregor Egger Vörös auf Pflanzen spezialisiert: Im Garten wachsen mehr als 400 Kräuter und Pflanzen, viele Sorten, die man nicht (mehr) kennt. Die wilden Locken stehen Gregor vom Kopf ab, er trägt einen Wollpullover. Wenn er redet und dann bedächtig durch den Garten führt, wirkt er so gelassen wie die Buddhisten 300 Meter unter ihm. Es gibt eine kleine dunkle Beere, die süß schmeckt und am Ende nach Cocktailtomate. Der Knollenziest mit seinem nussigen Geschmack sieht ein bisschen aus wie Topinambur oder wie eine lang gedrehte Muschel, und der fleischige Eiskristallsalat aus Südafrika hat eine Konsistenz wie Agavenblätter. Auf der Terrasse knackt eine Mitarbeiterin Eicheln – ein neues Experiment, das Kräuterteam ist auf der Suche nach einem Kaffeeersatz. Auf die Idee, die geröstete Kaffeebohne mit ihren 900 Aromen zu ersetzen, muss man erst mal kommen. Aber Experimente sind hier oben Strategie. Gregor und Gabriella fermentieren Knoblauch wochenlang bei 68 Grad, bis er schwarz ist und nach Lakritze schmeckt. Oder sie behandeln Spargel oder Buchweizen mit japanischem Miso-Extrakt. Manches klappt, manches geht schief. Aber die Ausdauer lohnt sich: 2018 ist das zugehörige Gourmet Restaurant Regina Montium mit einem Michelin-Stern geehrt worden. Dabei steht in der Küche nicht mal Pfeffer. Kein Muskat, keine Schokolade. Nichts, was nicht aus der Region kommt oder am besten aus dem eigenen Garten. So wie die Zutaten im Kräuterchampagner. Weil man ihn wegen seines geschützten Namens eigentlich nicht so nennen darf, heißt er hier Kräutermousseau.
Wenn man nach einem Aufstieg tief durchatmet, mit diesem Apéro, wie die Schweizer sagen, auf der Terrasse sitzt, den fast immer klaren Panoramablick genießt, dann ist für einen Augenblick das Leben perfekt. Vor allem, weil man weiß, dass man hier noch ewig weiterwandern, über die schneebedeckten Bergspitzen blicken und die Welt neu entdecken kann.


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Quelle: Schweiz Tourismus
Veröffentlicht: 29.07.2019 14:02 Uhr
