: Mehr Mobilität mit weniger Verkehr
Der Round Table der Frankfurter Allgemeinen (v.l.): Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident des ADAC; Dr. Tom Kirschbaum, Geschäftsführer von door2door; Prof. Knut Ringat, Sprecher der Geschäftsführung des RMV; Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des VDV; Moderator Johannes Pennekamp, F.A.Z.; Ralph Spiegler, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm; Matthias Kalbfuss, Vorsitzender der Geschäftsführung Heag mobilo; Tim-Oliver Müller, Geschäftsbereichsleiter des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Bild: Diana Pfammatter
Unsere Städte ersticken im Stau. Wie mehr Mobilität mit weniger Umweltbelastung gelingen kann und welche Finanzierung dafür notwendig ist, diesen Fragen stellten sich Experten aus Politik, Wirtschaft und Verbänden während des Round Table der Frankfurter Allgemeinen.
Im Verkehrsbereich soll Deutschland bis 2030 den CO2-Ausstoß um rund 40 Prozent gegenüber 1990 senken – so sieht es der Klimaschutzplan der Bundesregierung vor, der Ende des Jahres zum Klimaschutzgesetz werden soll. Feinstaub und Stickstoffdioxid quälen die Anwohner, Fahrverbote drohen.
Was muss sich ändern? Welche politischen undfinanziellen Rahmenbedingungen müssen Bund und Länder schaffen? Und welchen Beitrag können Kommunen und der Verkehrssektor für die Mobilität von morgen leisten? Diesen Fragen stellten sich Experten während des Round Table der Frankfurter Allgemeinen in Kooperation mit dem ADAC, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und den kommunalen Spitzenverbänden im Rahmen der Initiative „Deutschland mobil 2030“.
Dabei setzt die Politik in Zeiten, in denen die Luftreinhaltung in den Städten auf Druck der Gerichte und der EU-Kommission großgeschrieben wird, mehr denn je auf den Ausbau von Bussen und Bahnen und leidet gleichzeitig unter den Versäumnissen der Vergangenheit. „Deutschland hat zu lange Investitionspolitik nach Kassenlage gemacht. Herausfordernd daran ist, dass abgesehen von Bussen für den Öffentlichen Nahverkehr vor allem Schienensysteme gebaut werden müssen – das heißt, die Vorläufe sind lang“, fasst Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), die Ausgangslage zusammen.
Der Druck, eine Verkehrswende hinzubekommen, wird aber zunehmen: „Klimaschutzziele nicht einzuhalten ist das eine, aber es kommt auch der Zeitpunkt, an dem hohe Strafzahlungen drohen“, stellt Wolff fest. Die Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bildet einen zentralen Baustein, um eine attraktive, leistungsfähige und umweltfreundliche Mobilität zu gewährleisten. Bereits heute befördern Busse und Bahnen jedes Jahr mehr als 10 Milliarden Fahrgäste.
Bis 2030 rechnet Prof. Knut Ringat, Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), mit einem Drittel mehr Fahrgästen. Deshalb müsse die Stadt den Öffentlichen Personennahverkehr ausbauen. Egal, ob sie nun im kommenden Jahr Fahrverbote umsetzen und für die Menschen eine Alternative schaffen muss. Oder ob sie versucht, die Schadstoffbelastung kurzfristig zu senken, um Fahrverbote doch noch abzuwenden. „Denn Projekte, die wir heute bauen und sogar solche, die noch in der Planung sind, basieren auf der Annahme, dass die Menschen in Deutschland weniger werden. In der Region Frankfurt-Rhein-Main ging man von zehn Prozent weniger Bevölkerung aus. Heute wissen wir, dass eine ganz andere Situation eingetreten ist.“ Wie die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen erfüllt und gleichzeitig unsere Klimaziele eingehalten werden können, ist eine der drängendsten Fragen im Verkehrssektor, weiß Ringat. Nach der aktuellen Studie „Deutschland mobil 2030“ der Beratungsunternehmen PWC und Intraplan im Auftrag des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen könnte der Marktanteil der Busse und Bahnen am gesamten Personenverkehr, der momentan 13,3 Prozent beträgt, bis zum Jahr 2030 um fast ein Drittel wachsen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dem Koalitionsvertrag nach sollen die Bundesmittel für die kommunale Verkehrsinfrastruktur bis 2021 nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) auf eine Milliarde Euro jährlich steigen. Die Summe hält RMV-Chef Prof. Ringat erst einmal für ausreichend. Kollegen würden ihm zwar manchmal sagen, eine Milliarde Euro im Jahr sei viel zu wenig. Aber die Milliarde müsse ja erst mal ausgeben werden. „Denn zwei große Bremsen sind, rechtzeitig Planungen fertig zu haben und Bauunternehmen zu finden, die bereit sind, diese umzusetzen“, stellt Ringat fest. Gleichzeitig fehlen allerdings schon heute zur Instandhaltung von kommunalen Verkehrswegen sowie beim Öffentlichen Personennahverkehr jährlich mindestens 2,7 Milliarden Euro.
Ballungsräume stehen vor Verkehrsinfarkt
Dieses Jahr sollen die Angebote von verschiedenen Verkehrsunternehmen gebündelt und zu einer „Mobilitätsplattform“ mit erweiterten Funktionen ausgebaut werden: Nutzer sollen durch das „Mobility Inside“ genannte Projekt Taxis, Mietwagen und Leihräder buchen oder Tickets in anderen Städten kaufen können. „Das Mobilitätsverhalten hat sich verändert, die Verbünde sind so geblieben, wie sie sind. Deshalb brauchen wir eine App, mit der Nutzer durch ganz Deutschland fahren und alle Verkehrsmittel nutzen können. Das versuchen wir mit unserer gemeinsamen Initiative ‚Quer durch Deutschland‘ zu realisieren“, fasst Ringat die veränderten Anforderungen zusammen.
Während Großstädte und Ballungsräume immer häufiger vor dem Verkehrsinfarkt stehen, fühlen sich die Menschen in den ländlichen Regionen zunehmend vom öffentlichen Leben abgehängt. „Die Politik muss die drei Themen Wohnen, Arbeit und Verkehr miteinander in Einklang bringen“, ist Ralph Spiegler, Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, überzeugt. „Auf dem flachen Land werden wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht ohne Individualverkehr auskommen. Der Verkehr wird sich jedoch komplett ändern, deshalb müssen wir im Umfeld der Zentren für Pendler attraktive Lösungen schaffen. Das können Umsteigemöglichkeiten oder neue Angebote sein. Das heutige Angebot reicht schlichtweg nicht aus“.
Der Investitionsstau ist groß. Und Verkehrsdrehscheiben mit großen „Park-and-ride-Plätzen“ vor den Toren der Stadt sind nicht nur gut für das Stadtklima, sondern auch für das Umsteigen vom Auto in ein gut funktionierendes System von Bahnen und Bussen notwendig. „Wir erleben zurzeit eine rasante Veränderung der Mobilitätsgewohnheiten. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, braucht viel Zeit. Das bringt uns im Moment so in die Bredouille“, analysiert Matthias Kalbfuss, Vorsitzender der Geschäftsführung des Darmstädter Verkehrsunternehmens Heag mobilo. „Wir brauchen Lösungen, die für weniger Autos in der Stadt sorgen, damit mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger als Alternative zum Auto entsteht.“
Nach langen Jahren der Investitionszurückhaltung der öffentlichen Hand zeigt sich nun wieder ein deutliches Wachstum der Bautätigkeit bei Bund, Ländern und Gemeinden. „Die Politik versucht, die Versäumnisse der Vergangenheit mit zusätzlichen Investitionen aufzulösen“, erklärt Tim-Oliver Müller, Leiter des Geschäftsbereichs Wirtschaft und Recht des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Dies sei zwar richtig, aber die Mittel dürften in drei bis fünf Jahren nicht wieder zurückgefahren werden, fordert Müller.
Mehr als 100 000 Mitarbeiter haben die Bauunternehmen in den vergangenen 10 Jahren neu eingestellt, Ende dieses Jahres werden wieder 855 000 Beschäftigte in der Branche arbeiten. „Den Infrastrukturausbau können wir nur dann schaffen, wenn sich öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit unseren Bauunternehmen stärker der partnerschaftlichen Projektzusammenarbeit öffnen, das heißt, den Weg der heutigen Konfrontation verlassen und zu mehr Kooperation kommen“, resümiert Müller.
Da immer mehr Menschen befördert und Güter transportiert werden müssen, wird der Verkehr weiter zunehmen. Gleichzeitig entstehen nicht unerhebliche Emissionen durch Staus und unnötiges Fahren. So entfällt in Städten etwa ein Drittel des Verkehrs auf die reine Parkplatzsuche. Dieses Problem versucht das Geschäftsmodell des Software-Start-ups door2door aus Berlin zu lösen. Wie viele neue Mobilitätsangebote basiert der Shuttle-Dienst auf Abruf (on demand) auf der Idee des Teilens: Über eine App bestellt der Fahrgast ein Fahrzeug. Anders als bei einer normalen Taxifahrt nimmt der Shuttle während der Tour noch weitere Kunden an (virtuellen) Haltestellen auf. Die Idee klingt vertraut und erinnert an Rufbusse und Sammeltaxis.
Doch in Zeiten der Digitalisierung ist die Idee dann doch neu: Mit Hilfe der App begegnen sich Fahrgäste anders als im klassischen Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ohne festen Fahrplan und ohne feste Route. Algorithmen zeigen dem Fahrer, wie er seine Fahrgäste trotz kleiner Umwege schnell ans Ziel bringt. Das On-demand-Angebot soll Lücken schließen, die der klassische ÖPNV nicht bedienen kann. Und es soll Autofahrer überzeugen, die Busse und Bahnen bisher meiden. Das langfristige Ziel: weniger Autos – und damit mehr Umwelt- und Lebensqualität. „Die Lücke zwischen dem klassischen Öffentlichen Nahverkehr wie U-Bahn oder Linienbus und dem eigenen Auto ist groß. Das Auto ist individuell und flexibel, Bus und Bahn sind dagegen effizient, aber wenig individuell und für viele nicht attraktiv genug. Wir arbeiten daran, diese beiden Transportformen zu einem Hybrid zu verheiraten“, wirbt Dr. Tom Kirschbaum, Geschäftsführer von door2door, für das Angebot. „Also quasi einen flexibleren, individualisierteren ÖPNV auf Knopfdruck, der immer noch Menschen zusammen in ein Gefäß steckt, nur eben nicht in ein so großes. Und dass dieses Gefäß nicht nach Fahrplan fährt, sondern per Algorithmus gesteuert nach dem, was die Menschen gerade brauchen.“
Die Digitalisierung ermöglicht neue Geschäftsmodelle sowie den Aufbau von Mobilitätsplattformen. Es gibt in der Stadt eine „Flächenkonkurrenz zwischen dem Auto und anderen Verkehrsmitteln“, stellt Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident des ADAC, fest, und dass es nicht so weitergehen könne wie bisher. „Wenn heute Einfamilienhauswohngebiete mit 4000 Bewohnern geplant werden und keine ÖPNV-Anbindung vorgesehen ist, dann wundert mich das“, sagt Becker. Denn „auch Fahrdienste wie Uber und Carsharing brauchen Flächen in der Innenstadt“. So hat in Städten wie New York, in denen der Fahrdienst Uber besonders aktiv ist, der Stau sogar noch zugenommen.