Lindau 2017 : Wilde Winzlinge
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Nur zwei Nanometer groß ist in Wirklichkeit das molekulare Gefährt, das man hier in einer Illustration sieht. Bild: Randy Wind und Martin Roelfs/Universität Groningen
Der Chemie-Nobelpreisträger Ben Feringa baut aus organischen Molekülen winzige Schalter, Motoren und Getriebe. Sein größter Wurf ist ein zwei Nanometer großes Elektroauto.
Die Natur ist für den Chemiker und Nanowissenschaftler Ben Feringa ein unerschöpflicher Ideengeber. Schließlich hat sie Jahrmilliarden an Erfahrung in der Konstruktion molekularer Motoren. Für jede noch so komplizierte Aufgabe existiert eine entsprechende biomolekulare Maschine. So bringen Myosin-Moleküle im Kollektiv ganze Muskeln zur Kontraktion, in dem sie auf den Actin-Filamenten hin und her wandern. Der Linearmotor, das Kinesin, transportiert Makromoleküle und Zellorganellen in das Innere von Zellen und aus diesen hinaus. Der Biokatalysator ATP-Synthase wandelt den chemischen „Brennstoff“ ATP in Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat um, wobei er um seine Achse rotiert.
Für den holländischen Nobelpreisträger von 2016 war das lichtempfindliche Protein Rhodopsin – es spielt eine zentrale Rolle beim Sehen – der Initiator für seine Forschungen. Fällt Licht auf das Biomolekül, so ändert es seine molekulare Struktur. Dieser natürliche optischer Schalter ist aber selbst für einen versierten synthetischen Chemiker wie Feringa viel zu komplex, als dass man ihn einfach nachbauen könnte. Deshalb hat sich der Nobelpreisträger, wie er in seinem Eröffnungsvortrag am Montagmorgen (26. Juni) in Lindau berichtete, zunächst auf die Synthese eher einfacher Moleküle konzentriert, die im Laufe der Jahre immer komplexer geworden sind. Dabei sei es ihm mit seinen Kollegen an der Universität Groningen immer besser gelungen, Kontrolle über die Dynamik der Moleküle zu gewinnen.
Medikamente lassen sich mit Schalter freisetzen
Eines seiner ersten molekularen Schalter – Feringa synthetisierte ihn 1991 – waren zwei polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff-Verbindungen, die über eine Doppelbindung miteinander gekoppelt waren. Regte er das System mit ultraviolettem Licht an, dann vollführte der obere Kohlenwasserstoff eine Drehung um 180 Grad. Dabei nahm das Molekül eine spiegelbildliche Gestalt an. Chemiker sprechen von einem Übergang vom Trans-Isomer in das Cis-Isomer.
Auf diese Weise hatte Feringa mit seinen Kollegen einen photochemischen Schalter verwirklicht, der zwei diskrete Zustände besitzt. Der Lichtschalter hat neue Möglichkeiten eröffnet. So lassen sich Medikamente, wenn sie mit dem Schalter ausgestattet sind, mit einem Lichtpuls gezielt freisetzen oder aktivieren. Erste Versuche im Labor verliefen bereits erfolgsversprechend. Mittlerweile haben die Forscher aus Groningen Moleküle synthetisiert, die sich mit Infrarotlicht ansprechen lassen. Die langwellige Strahlung kann tief in das Körpergewebe eindringen, ohne Schaden zu verursachen.
Propeller dreht sich unter Licht- und Wärmezufuhr
Doch Feringa hatte noch ein anderes Ziel: Er wollte seinen molekularen Schalter zum Rotieren bringen. Durch ausprobieren, verwerfen, kombinieren und abermaliges Testen einer Reihe organischer Verbindungen konnten er und seine Kollegen schließlich 1999 erstmals einen molekularen Motor aus einem zweigeteilten aromatischen Kohlenwasserstoffs präsentieren. Sein Aufbau ist recht simpel, wie Feringa in Lindau zeigte: Ein Rotor, ein Stator und eine Achse sind die Hauptbestandteile.
Der obere Teil, der Rotor, dreht sich wie ein Windrad um die zentrale Doppelbindung, die die Achse formt. Der Propeller, der aus drei ringförmigen Kohlenwasserstoffen besteht, beginnt sich um 360 Grad zu drehen, sobald man abwechselnd ultraviolettes Licht einstrahlt und Wärme zuführt. Der erste Motor schaffte gerade mal eine Umdrehung pro Stunde. Inzwischen drehen sich verbesserte Varianten schon zehn Millionen Mal pro Sekunde.
Molekularer Motor für Elektroautos
Allerdings hatten die Versuche einen Haken. Die synthetisierten Motor-Moleküle rotierten nur in einer Lösung im Reagenzglas. Doch ein richtiges Windrad – zumal wenn es einem niederländischen Labor entstammte – musste sich auf einer Unterlage drehen. Es sollte sechs weitere Jahre dauern, bis Feringa und seine Kollegen schließlich einen molekularen Motor auf einer Goldoberfläche zum rotieren brachten. Die Forscher versahen den Stator des Motors mit zwei Thiolgruppen, die mit ihren Schwefelatomen an der Goldoberfläche hafteten. Dadurch waren die Gebilde nicht nur fest mit der Oberfläche verbunden, die zugeführte Energie verblieb im Alken-Molekül und wurde nicht an das Gold weitergeleitet. Dass das Bauteil tatsächlich rotierte, konnten die Forscher anhand von fluoreszierenden Markermolekülen beobachten, die sie an ihre winzigen Windmühlen geheftet hatten. Diese leuchteten, als sie mit Licht bestrahlt wurden.
Mit den molekularen Propellern hatte Feringa mit seinen Kollegen auch die Voraussetzung für einen weiteren großen Wurf geschaffen, der ihnen im Jahr 2011 gelang: das erste molekulare Elektroauto der Welt. Es bestand aus gut einem Dutzend organischer Moleküle und maß etwa zwei Nanometer. Ein längliches organisches Molekül diente als Chassis. Daran waren vier Rotormoleküle gekoppelt, die sich bei den Nanowindmühlen bewährt hatten. Sie dienten als Antriebsräder und übernahmen die Rolle der Elektromotoren. Die Räder begannen alle in die gleiche Richtung zu rotieren, sobald man Elektronen aus einer Spitze eines Rastertunnelmikroskops zuführte, das direkt über dem Nanoauto schwebte. Das Vehikel bewegte sich auf einer Goldoberfläche vorwärts, pro Radumdrehung etwa einen Nanometer weit.