Zukunftslabor Lindau : Das Potential der inneren Uhr
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Die richtige Menge Schlaf sorgt für Konzentration und Ausgeglichenheit. Doch wie vereinbart man die innere Uhr am besten mit Alltagspflichten? Bild: dpa
Vom jüngsten Nobelpreis hat jeder etwas: Die Aufklärung über die innere Uhr kann unsere Schlafqualität und Psyche verbessern. Auch die Arbeitswelt könnte mit diesem Wissen humaner werden.
Der jüngste Nobelpreis für Physiologie oder Medizin handelt von nichts Geringerem als der Zeit, dem Leben und der Nacht. Er ging an drei amerikanische Forscher, die aufgeklärt haben, wie unsere innere Uhr auf zellulärer Ebene reguliert wird. Störungen der inneren Uhr erhöhen nicht nur das Risiko für Schlafstörungen, sondern, wie neue Studien zeigen, auch für Depressionen und andere psychische Krankheiten.
Die innere Uhr wehrt sich hartnäckig in uns und behält ihren Rhythmus bei, komme, was wolle. Die innere Uhr lässt uns nach einem Langstreckenflug hellwach sein oder partout nicht schlafen, ihretwegen wälzen sich Schichtarbeiter nach einer anstrengenden Nachtschicht tagsüber unruhig im Bett. Sie bestimmt, dass wir morgens wacher sind als abends, wie schnell wir reagieren, wann wir die höchste Körpertemperatur haben oder den schnellsten Anstieg des Blutdrucks.
Welche molekularen Mechanismen hinter unserer inneren Uhr stecken, haben Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young entdeckt. „Wir wissen jetzt, dass es im Grunde nicht nur eine innere Uhr gibt, sondern Tausende“, sagt Hans-Günter Weeß, Chef-Schlafmediziner am Pfalzklinikum in Klingenmünster. Die wichtigste innere Uhr sitzt im Gehirn. Wie ein Maestro im Orchester dirigiert sie viele einzelne Unteruhren in unseren Zellen und lässt diese tagtäglich ein harmonisches Konzert spielen. Weeß: „Bringt man das durcheinander, leidet die Lebensqualität enorm und man kann psychisch krank werden.“
Alle Lebewesen folgen Rhythmus
Organismen auf der Erde haben schon vor Jahrtausenden gelernt, sich an ihre Umgebung anzupassen. Das sicherte ihr Überleben. Die meisten Organismen entwickelten, weil sich die Erde dreht, eine innere biologische Uhr, mit der sie die Tag-Nacht-Zyklen quasi vorhersehen und ihren Stoffwechsel und ihr Verhalten darauf einstellen konnten. Dieser zirkadiane Rhythmus ist sehr alt. Egal, ob Einzeller, Pilze, Pflanzen, Insekten, Nagetiere oder der Mensch: Alle folgen einem für sie passenden Rhythmus. 1729 stellte der französische Astronom Jean Jacques d’Ortous de Mairan eine Mimose ins Dunkle und beobachtete, dass die Pflanze trotz Dunkelheit ihre Blätter zur korrekten Tageszeit öffnete und schloss – die Mimose musste von sich aus „wissen“, wann Tag und wann Nacht war.
200 Jahre später zeichnete der deutsche Pflanzenphysiologe Erwin Bünning die Blätter einer Bohnenpflanze mit einem Kymographen auf, einmal während des normalen Tag-Nacht-Rhythmus und einmal bei konstanten Lichtverhältnissen. In beiden Fällen behielt die Bohnenpflanze ihren Rhythmus bei. Doch noch jahrzehntelang stritten sich die Forscher, ob es eine innere Uhr wirklich gäbe oder ob der zirkadiane Rhythmus nicht doch von äußeren Stimuli abhänge. Erst Mitte der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts begann sich das Konzept der inneren Uhr stärker zu etablieren, als eine Gruppe von Chronobiologen intensiv darüber forschte.
Zu der Zeit begannen der amerikanische Molekularbiologe Seymour Benzer und sein Student Ronald Konopka Studien mit mutierten Fruchtfliegen, bei denen der zirkadiane Rhythmus gestört war. Im Gegensatz zu anderen Forschern jener Zeit war Benzer überzeugt, dass sich ein bestimmtes Verhalten durch einzelne Gene beeinflussen lasse. Das wollte er mit den Fruchtfliegen beweisen.