Chinas Forschungsoffensive : Riese auf Talentschau
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Großpharma made in China: Sinopharm produziert 140 Pharmazeutika als auch traditionell chinesische Heilprodukte. Bild: EPA
China ist die Forschungsgroßmacht der Stunde und noch lange nicht zufrieden. Im Westen sucht es Knowhow und vor allem Spitzenforscher – und ist auch bei deutschen Nobelpreisträgern erfolgreich.
So viel Zwiespalt war selten in Lindau. China spaltet, China verwirrt, aber auch: China inspiriert. China jedenfalls war Gastland und damit Gastgeber des „International Day“ auf dem 68. Nobelpreisträgertreffen jüngst in Lindau am Bodensee. Und auch wenn es nur einen berühmten chinesischen Nobelpreisträger gibt, nämlich den lange inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der vergangenes Jahr an Leberkrebs gestorben ist, sowie die Medizin-Nobelpreisträgerin von 2015, Tu Youyou, die Lindau fernblieb, so war China doch von Anfang an ein heißdiskutiertes Thema unter Nobelpreisträgern wie unter Jungforschern. Nur noch die Fake-News- und Populismusdebatte als Beitrag des amerikanischen Präsidenten Trump zur Vertrauenskrise der Wissenschaften bot ähnlich viel Debattierstoff. Man könnte auch sagen: So viel Außenpolitik war selten in Lindau.
Im Ranking vor Vereinigte Staaten
Überraschen konnte das niemanden. Einer Veranstaltung, die seit den fünfziger Jahren explizit für Weltoffenheit steht, und auch dieses Jahr wieder mehr als sechshundert Nachwuchswissenschaftler aus 84 Herkunftsländern an den Bodensee holte, kann die politischen Begleitumstände, unter denen Peking seinen Aufstieg zur wissenschaftlichen Großmacht organisiert, nicht gleichgültig sein. Die – inoffizielle – Frage also lautete: Wann gibt Chinas Wissenschaft endgültig den Ton an – nicht in Lindau, sondern in der Welt? Dass eine solche Frage vor allem den traditionell stark vertretenen amerikanischen Laureaten nicht gefallen konnte, lag auf der Hand. Im Januar dieses Jahres erklärte sogar die National Science Foundation (NSF) in Washington China zum Weltmeister wissenschaftlicher Publikationen. China hat nicht nur die größte Zahl an Forschern, zum ersten Mal auch waren im Jahr 2016 chinesische Wissenschaftler mit 426 000 Publikationen vor den Vereinigten Staaten gelandet – fast ein Fünftel aller in Elseviers Scopus-Datenbank gelisteten Veröffentlichungen stammten aus dem Reich der Mitte. Die NSF beeilte sich, die Großmachtverhältnisse wenigstens im Hinblick auf Qualität und Mittel zurechtzurücken.
Mit 500 Milliarden Dollar und damit einem Viertel der globalen Forschungsausgaben, liegen die Vereinigten Staaten in der Rangliste immer noch deutlich vor China – das freilich auch hier schon mit knapp 400 Milliarden Dollar zweitplaziert wäre. Allerdings: Chinas Forschungsbudgets wachsen inzwischen doppelt so schnell wie die Wirtschaft des Landes. Auch bei der Rangliste der am meisten zitierten Artikel, der in der Branche wichtigsten Währung, hat China zur Erleichterung der NSF noch nicht das Level der amerikanischen – aber auch nicht der europäischen Wissenschaftler erreicht.
„Doppel-Exzellenzinitiative“ des Ministeriums
Tatsächlich identifizierte die Chinesische Akademie der Wissenschaften schon vor sieben Jahren eine gewaltige „Publikationsblase“ im eigenen Land: Masse statt Klasse, das konnte nicht das Ziel Pekings sein. Auch die große Zahl an Veröffentlichungen, die wegen Qualitätsmängeln oder Manipulationen zurückgezogen werden mussten, stieg beängstigend. Peking reagierte: Ein Förderschwerpunkt bei den gut tausend Universitäten und ebenso vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen liegt seitdem auf der Spitzenforschung. Eine „Doppel-Exzellenzinitiative“ wurde vergangenes Jahr vom Bildungsministerium gestartet, und wenn man Wei Yang glauben darf, der als Präsident der National Natural Science Foundation of China vor zwei Jahren in „Nature“ einige der Schwachpunkte der Pekinger Wissenschaftspolitik offenlegte, trug die Qualitätsoffensive schnell Früchte: Zwischen 1997 und 2016 sei der Anteil chinesischer Artikel aus der Grundlagenforschung, die sich unter den 0,1 Prozent meistzitierten weltweit wiederfinden, „von einem Prozent auf ungefähr zwanzig Prozent gestiegen“. Wei Yangs eigenes Stiftungsbudget wurde in der Zeit auf das Dreihundertfache angehoben.