Raumstation 2.0 : Die Kolonisation des Mondes kann beginnen
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Thomas Reiter verbrachte 2006 als Esa-Astronaut mehrere Monate auf der Internationalen Raumstation ISS. Bild: dpa
Der Mond wird nach der Internationalen Raumstation (ISS) zum neuen Außenposten der Menschheit. Neben den Europäern sind auch die Russen mit dabei. Was bedeutet das für das ambitionierte Projekt? Der frühere deutsche Astronaut Thomas Reiter erklärt es.
Herr Reiter, Russland will sich ebenfalls am Bau einer Raumstation in der Mondumlaufbahn beteiligen. Auf einer Tagung in Adelaide hat der Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, Igor Komarow ein entsprechendes Abkommen mit der Nasa unterzeichnet. Hat Sie die Entscheidung überrascht?
Für uns ist die Entscheidung Russlands nicht unerwartet. Man hat durch die mediale Aufmerksamkeit an dieser Entscheidung den Eindruck gewinnen können, Russland und Amerika hätten das „Deep Space Gateway“ jetzt ins Leben gerufen. Tatsächlich aber arbeiten die fünf Partner der Internationalen Raumstation ISS – Amerika, Russland, Europa, Japan und Kanada - bereits seit drei Jahren sehr konkret an diesem Konzept. Unabhängig davon wird unser Außenposten im niedrigen Erdorbit, also die ISS, mindestens noch bis Mitte des kommenden Jahrzehnts in Betrieb sein. Wie es mit der ISS nach 2024 weitergehen soll, ist bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu entscheiden. Von wissenschaftlicher Seite besteht jedenfalls auch darüber hinaus der Bedarf für Forschung unter Weltraumbedingungen. Was das „Deep Space Gateway“ betrifft, wurden in den regelmäßigen Arbeitstreffen die Elemente einer Station in Mondnähe und deren technische Ausstattung diskutiert. Roskosmos hat natürlich an den Gesprächen teilgenommen. Nur hat Russland bisher keine eigenen Beiträge zu dieser Mondstation vorgeschlagen. Mit der zwischen Roskomos und Nasa getroffenen Vereinbarung hat die russische Raumfahrtagentur nun die formellen Grundlagen geschaffen, um konkrete Beiträge zu leisten.
Wie wird sich Europa beim „Deep Space Gateway“ engagieren?
Die Esa entwickelt seit 2012 für die amerikanische Orion-Raumkapsel zwei Service-Module. Die Orion wird ja das Raumschiff sein, mit dem Astronauten und jetzt auch Kosmonauten zum „Deep Space Gateway“ und damit zum Mond fliegen werden.
Und somit auch europäische Astronauten?
Ja, das ist unser Ziel. Für die Europäische Raumfahrtagentur hat das Engagement an der Mondstation doppelte Bedeutung. Zum einen ist es für uns der Einstieg in bemannte Raumflüge jenseits des niedrigen Erdorbits. Zum anderen gelten wir über unsere Beteiligung am „Deep Space Gateway“ unsere Betriebskosten an der ISS bis 2024 ab. Außer den Service-Modulen gibt es natürlich noch andere Bauelemente, mit denen wir zur Mondstation beitragen könnten.
Welche sind das?
Eine Option wäre ein Antriebselement für die Mondstation. Das wäre ein Ionentriebwerk mit einer Leistung von 20 Kilowatt. Ein zweites Element wäre ein Modul mit einem Kommunikationsterminal, Treibstofftanks, einer Luftschleuse für wissenschaftliche Nutzlasten und einem neuartigen Adapter, an den Raumschiffe andocken könnten. Denkbar wäre auch eine bewohnbare Einheit.
Hier könnte die Esa auf die Erfahrungen mit dem Columbus-Modul der ISS zurückgreifen. Dieses Modul würden wir gegebenenfalls gemeinsam mit der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa entwickeln. Was davon tatsächlich verwirklicht wird, müssen die Esa-Mitgliedsländer entscheiden.
Wann könnte der Bau des „Deep Space Gateway“ frühestens beginnen?
Einzelne Elemente sind bereits in der Entwicklung. Darunter fällt neben der Orion auch die neue amerikanische Trägerrakete, das sogenannte Space Launch System. Der Erstflug des SLS ist für 2019 geplant. Da wird man die Orion-Kapsel mit dem europäischen Service-Modul in eine Umlaufbahn um den Mond bringen. Der Aufbau der Mondstation wird nach heutiger Planung bereits zusammen mit dem zweiten Flug der Orion-Kapsel in 2022 beginnen. Die Teile würden dann Stück für Stück in die Mondumlaufbahn gebracht und dort zusammengebaut. Ähnlich wie man es bei der Internationalen Raumstation gemacht hat. Nur beträgt die Entfernung jetzt fast 400.000 Kilometer, statt 400 Kilometer wie beider ISS. Das bedeutet natürlich ganz besondere Herausforderungen. Wir sind froh, dass Russland jetzt mit im Boot ist. Russland hat viel Erfahrung beim Bau von Raumstationen und mit Langzeitmissionen.
Vom Mond aus würde auch der Flug zum Mars leichter fallen. Man müsste die Erdanziehung der Erde nicht überwinden.
Ganz genau. Alle Szenarien für Reisen zu unserem Nachbarplaneten gehen von einer Montage des Mars-Raumschiffs im Weltraum aus. Mit einem Ionentriebwerk ausgestattet, könnte es zum Beispiel von einer Mondumlaufbahn aus starten. Mit dieser Art von Antrieb benötigt man viel weniger Treibstoff als mit herkömmlichen chemischen Triebwerken. Dadurch wird die Nutzlast des Raumschiffes größer.
Wie passen die Pläne für eine Raumstation in der Mondumlaufbahn, als Sprungbrett zum Mars, mit den Plänen für eine Mondbasis zusammen, wie sie den Raumfahrtorganisationen vorschweben?
Die beiden Vorhaben passen sehr gut zusammen. Es war in den vergangenen Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten immer wieder von der Rückkehr von Menschen zum Mond die Rede. Dieses Ansinnen ist bei republikanischen Regierungen traditionell stärker ausgeprägt, als unter demokratischen Regierungen, die eher den Mars als nächstes Ziel der amerikanischen Raumfahrt favorisieren. Jim Bridenstine, der nominierte Nasa-Administrator, hat sich jüngst für eine Rückkehr zum Mond starkgemacht.
Die Vision eines permanent bewohnten Monddorfes, wie sie der Esa-Generaldirektor Jan Wörner vor zwei Jahren publik gemacht hat, ist bei unseren internationalen Partnern auf großes Interesse gestoßen. Einschließlich Russland. Man könnte vom „Deep Space Gateway“ aus sowohl die Besiedelung des Erdtrabanten vornehmen als auch zum Mars aufbrechen.
Über die nächsten Schritte in der Raumfahrt sind sich die großen Raumfahrtagenturen offenkundig einig. Werden auch die Politiker mitspielen, etwa Donald Trump?
Das wünschen wir uns. Mit dem amerikanischen Präsidenten wird das sicherlich nicht so ganz einfach werden. Ich bin gespannt, wie sich die Vereinigten Staaten zu den Vorschlägen Igor Komarows äußern, beim Bau der Mondstation auch Länder wie China, Indien, Brasilien oder Südafrika miteinzubeziehen. Bei einer Zusammenarbeit mit China ist Amerika anders als Europa immer äußerst zurückhaltend gewesen.
Ich hoffe, dass sich das Verhältnis zwischen Amerika und China in der Raumfahrt entspannt. Hier könnte Europa die Funktion eines Vermittlers einnehmen. Man darf sich aber keinen großen Illusionen hingeben, dass sich die Einstellung der politischen Führung unter Trump von heute auf morgen wandelt.