Raserei am Himmel : Der schnellste Stern der Milchstraße
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Der schnellste Stern der Milchstraße (links) hat eine solch hohe Geschwindigkeit, dass er sogar unsere Galaxie verlassen wird, wie in dieser Illustration dargestellt. Bild: Nasa, Esa/Hubble, Stephan Geier
Der Stern HV2 besticht durch sein Tempo, mit der er durch unsere Galaxis rauscht. Er war Teil eines Doppelsternsystems, das das Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße trennte.
Ungeachtet ihrer Bezeichnung bewegen sich die Fixsterne der Milchstraße mit zum Teil beachtlichen Geschwindigkeiten durch den Weltraum. Die Sonne etwa umrundet das Zentrum der Galaxis mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 Kilometer pro Sekunde und benötigt für einen Umlauf rund 220 Millionen Jahre. Allerdings kennen die Astronomen auch rund zwei Dutzend Sterne, die sich mit einem noch wesentlich größeren Tempo durch die Milchstraße bewegen. Solche extremen Raser bringen es auf tausend und mehr Kilometer pro Sekunde.
Da Sterne mit derart hohem Tempo schnell genug sind, um die Anziehungskraft der Galaxis zu überwinden und in den intergalaktischen Raum vorzustoßen, möchten Astronomen wissen, auf welche Weise diese Gestirne auf solch rasante Geschwindigkeiten gebracht worden sind. Bei den meisten Sternen dürfte es sich um die entlaufenen Partner von einstigen Doppelsternsystemen handeln, die auf ihrem Weg durch die Milchstraße dem Schwarzen Loch im Zentrum zu nahe gekommen und dabei von dessen Gezeitenkräften getrennt worden sind.
Während jeweils einer der beiden Sterne in eine enge Umlaufbahn um das extrem massereiche Objekt im Zentrum der Galaxis gezwungen wurde, erfuhr der Partner eine extreme Beschleunigung in Richtung Weltraum, die ihn zum intergalaktischen Wanderer werden ließ.
Ein Stern aus purem Helium
Bei einem dieser hyperschnellen Sterne, HV2, hat eine internationale Astronomengruppe unter Leitung von Stephan Geier von der Universität Erlangen-Nürnberg nun handfeste Indizien für einen völlig anderen Beschleunigungsmechanismus gefunden. Damit hat man zugleich erstmals konkrete Hinweise auf einen bislang nur vermuteten Zusammenhang zwischen sogenannten Helium-Zwergsternen und einer besonderen Form von Supernova-Ereignissen aufgedeckt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen stellen die Forscher in der neuesten Ausgabe des amerikanischen Wissenschaftsmagazins „Science“ zur Diskussion.
Als Helium-Zwergsterne bezeichnen die Astronomen vergleichsweise massearme, aber dennoch heiße Sternreste, die als gealterte, rote Riesensterne ihre äußere Hülle an die Umgebung und mögliche enge Begleitsterne verloren haben. HVS 2 gehört als bislang einziger hyperschneller Stern zu dieser Gruppe. Er zeigt darüber hinaus eine extrem schnelle Rotation. Beides deutet darauf hin, dass der Stern ursprünglich in einem extrem engen Doppelsternsystem beheimatet war.
Dem Schwarzen Loch entkommen
Allerdings ergab eine genaue Vermessung der Bewegung des Sterns und die dadurch ermöglichte Rekonstruktion seiner zurückgelegten Bahn, dass HVS 2 mit absoluter Sicherheit nicht die Umgebung des zentralen Schwarzen Loches passiert und seinen einstigen Partner dabei verloren haben kann. Er muss vielmehr auf andere Weise seine extreme Geschwindigkeit erlangt haben.
Folgendes Szenario gilt als wahrscheinlich: HVS 2 gehörte bis vor rund 14 Millionen Jahren als sogenannter „Spenderstern“ zu einem zuletzt sehr engen Doppelsternsystem, das neben ihm noch einen massereichen Weißen Zwerg von gut einer Sonnenmasse enthielt. Dabei umrundeten sich beide Objekte am Ende innerhalb von nur etwa zehn Minuten, waren also lediglich rund 120 000 Kilometer (oder knapp ein Drittel der Monddistanz) voneinander entfernt. Diese Nähe sorgte zum einen für eine immer schnellere Rotation des Spendersterns und zum anderen für einen andauernden Masseverlust des Heliumsterns bis zu jenem Moment, da die überströmende Materie an der Oberfläche des Weißen Zwergs dicht genug gepackt war, um eine Helium-Fusion zu zünden.
Eine solche Detonation reichte aus, den eingeschlossenen Weißen Zwerg zum Einsturz zu bringen und vollständig zu zerstören, so dass der ursprüngliche Spenderstern plötzlich haltlos mit seiner bisherigen Umlaufgeschwindigkeit von rund 1200 Kilometern pro Sekunde davon schießen konnte. Da in diesem Fall die Sternexplosion durch eine vorausgehende Helium-Fusion vorzeitig erzwungen wird, bleibt die so entstandene Supernova in ihrer Helligkeit hinter den normalen Werten zurück. Bislang war ein solches Szenario nur als mögliche Erklärung entsprechend dunkler Ia-Supernovae gehandelt worden.