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Kometenmission „Rosetta“ : Ein Hauch von Heimat im All

„Tschuri“ Bild: FAZ

Schon dafür hat sich die rasante Kometenjagd gelohnt: „Tschuri“ führt die Aminosäure Glyzin mit sich. Und nicht nur das. Sind das die Keime irdischen Lebens? „Rosettas“ Reise bleibt spannend.

          2 Min.

          Sind die Bausteine des Lebens wirklich mit Kometen auf die Erde gelangt? Die seit langem kontrovers diskutierte Frage hat durch einen Fund der europäischen Raumsonde „Rosetta“ neue Nahrung erhalten. Die Sonde hat im Schweif des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (kurz Tschuri) einen wichtigen Baustein der Proteine nachgewiesen: die Aminosäure Glyzin (C₂H₅NO₂). Der Fund untermauert einmal mehr die These, dass auch im All einfache Aminosäuren entstanden sind.

          Manfred Lindinger
          Redakteur im Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Aminosäuren und andere organische Substanzen wurden bereits zahlreich in Meteoriten auf der Erde nachgewiesen. Auch in den Spektren von Gaswolken und von Galaxien hat man viele Hinweise gefunden, die auf das extraterrestrische Vorkommen wichtiger organischer Stoffe hindeuten. Insgesamt wurden mehr als 140 Moleküle in Molekülwolken und 25 Moleküle im Schweif von Kometen aufgespürt. Glyzin, das erst bei hohen Temperaturen verdampft, konnte bisher aber nur ein einziges Mal nachgewiesen werden, und zwar in Staubproben des Kometen 81P/Wild 2, die die Sonde „Stardust“ im Jahr 2004 bei ihrem Flug durch dessen Koma eingesammelt hatte und die zwei Jahre später in einem Kanister zur Erde gelangten. Allerdings war es damals nicht leicht nachzuweisen, dass das gefundene Glyzin auch tatsächlich von Wild 2 stammte und nicht auf eine Kontamination zurückzuführen war. Bei der Isotopenanalyse fand man jedoch große Anteile von Kohlenstoff-13, was für organische Substanzen aus dem Weltall charakteristisch ist. Aminosäuren auf der Erde enthalten vor allem das Isotop Kohlenstoff-12.

          Mehrere Spuren von Glyzin entdeckt

          Diese Schwierigkeiten hatte man bei der Identifikation der Aminosäure von 67P nicht, da der Nachweis mit dem an Bord von Rosetta befindlichen Massenspektrometer „Rosina“ erfolgte. Zudem hatte man vor der Ankunft der Raumsonde am Kometen im August 2014 keine Hinweise gefunden, die auf eine irdische Kontamination der Instrumente hindeuteten. Wie die Wissenschaftler um Kathrin Altwegg von der Universität Bern in der Zeitschrift „Science Advanced“ berichten, hat man in der Koma von 67P außer Glyzin noch die beiden Vorläufersubstanzen Methylamin (CH₅N) und Ethylamin (C₂H₇N) identifiziert. Alle drei organische Substanzen konnten immer nur gemeinsam im Massenspektrum beobachtet werden.

          Glyzin wurde von Rosetta bei mehreren Flügen durch die Koma des Kometen „Tschuri“ aufgespürt: das erste Mal im Oktober 2014, als die Sonde nur zehn Kilometer vom Kometenkern entfernt war, das letzte Mal im Juli 2015 aus einer Entfernung von 200 Kilometern zum Kometen, im sonnennächsten Punkt (Perihel). Über die möglichen Quellen des nur schwer flüchtigen Glyzins gibt es Vermutungen. Nach Ansicht von Kathrin Altwegg und ihren Kollegen stammt die Aminosäure höchstwahrscheinlich von vereisten Staubkörnern, die sich in der Koma aufgeheizt haben, oder von der Kometenoberfläche selbst, die sich bei der dichtesten Annäherung des Kometen an die Sonne stark erwärmte. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Glyzin auch im Kometeneis eingebettet ist und gemeinsam mit flüchtigen Substanzen freigesetzt wird.

          Aceton, Propionaldehyd, Methyl-Isocyanat und Acetamid

          Den Forschern ist ein weiterer Überraschungsfund gelungen. Sie haben Spuren von Phosphor mit ihrem Massenspektrometer nachgewiesen. Phosphor ist ein Schlüsselelement in lebenden Organismen. Es bildet das Rückgrat von DNA- und RNA-Molekülen, ist in Zellmembranen zu finden und versorgt als Bestandteil von Adenotriphosphat (ATP) die Zellen mit Energie. Die Befunde der an der Rosetta-Mission beteiligten Wissenschaftler sind starke Indizien dafür, dass die Milliarden Jahre alten Kometen einige Schlüssel-Moleküle der präbiotischen Chemie quer durch das Sonnensystem transportieren und durch die Kollision auf die frühe Erde brachten, wodurch sich die Zahl der Lebensbausteine drastisch erhöhte.

          Berücksichtigt man frühere Messungen, so sind nun mehr als zwanzig organische Verbindungen in der Koma und auf der Oberfläche von 67P/Tschurjumow-Gerassimenko eindeutig identifiziert worden. Darunter sind Alkohole, Amine und Nitrile, die man bereits zuvor in der Gas- und Staubhülle, der Koma, anderer Kometen entdeckt hatte. Dazu gehörten aber auch vier bis dahin unbekannte Bestandteile von Kometen: Aceton, Propionaldehyd, Methyl-Isocyanat und Acetamid.

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