Asteroiden : Kosmische Migranten
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Hat Milliarden von Kilometern zurückgelegt, um vom Asteroiden- in den Kuipergürtel zu gelangen: künstlerische Darstellung des Asteroiden 2004 EW95 Bild: ESO/M. Kornmesser
Astronomen haben die Herkunft zweier verschiedener Asteroiden entschlüsselt: Während der eine aus dem interstellaren Raum zu stammen scheint, können wir vom anderen etwas über die Geschichte unseres eigenen Sonnensystems lernen.
Gleich zwei besondere Asteroidenentdeckungen wurden in diesem Monat bekannt gegeben. Am Montag wurde in den „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ eine Studie veröffentlicht, die die Herkunft eines Asteroiden klärt, der bereits seit seiner Entdeckung 2015 die Aufmerksamkeit der Astronomen auf sich zieht. Der Felsbrocken mit Namen „2015 BZ509“ war vor einem Jahr in „Nature“ von den Astronomen Paul Wiegert, Martin Connors und Christian Veillet als erstes Objekt unseres Sonnensystems identifiziert worden, das sich seine Bahn mit einem Planeten teilt, sich aber in gegenläufiger Richtung – auf einer sogenannten retrograden Bahn – um die Sonne bewegt. Seine Umlaufperiode stimmt dabei mit derjenigen des ihm regelmäßig nahe kommenden Planeten Jupiters überein. Damit besitzt 2015 BZ509 Exotenstatus: Tausende Asteroiden umkreisen die Sonne in ähnlichem Abstand wie der Jupiter, aber keiner dieser sogenannten Trojaner bewegt sich in gegenläufiger Richtung zu derjenigen des Planeten. Stattdessen kreisen die Trojaner zusammen mit dem Gasplaneten stabil nahe den sogenannten Lagrange-Punkten, den Gleichgewichtspunkten bezüglich des Einflusses der Gravitationsfelder der Sonne und des Jupiter.
Die gemeinsame Umlaufrichtung der Himmelskörper erklärt sich durch die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems, als Planeten und Asteroiden aus dem rotierendem Gas und Staub der protoplanetaren Scheibe entstanden. Eine entgegengesetzte Umlaufrichtung ist daher zwar ungewöhnlich, 2015 BZ509 ist aber dennoch weder der erste noch der einzige Asteroid, dessen Rotation der üblichen Richtung entgegenläuft: „Zentauren“ genannte Asteroiden werden durch Vorbeiflüge an den Riesenplaneten auf chaotische Bahnen geleitet. Dabei können sie eine entgegengesetzter Umlaufrichtung annehmen, bevor sie von den Gasriesen auf resonante Bahnen gezwungen wurden. Ein kommentierender „News & Views“-Artikel von Helena Morais und Fathi Namouni, der begleitend zur ersten ausführlichen Analyse im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, nennt neben 2015 BZ509 noch drei weitere bekannte retrograde Asteroiden, die sich auf resonanten Bahnen mit Jupiter oder Saturn bewegen. Innerhalb dieser Gruppe zeichnet sich 2015 BZ509 allerdings durch eine Besonderheit aus: Seine Bahn scheint außergewöhnlich stabil zu sein. Die Astronomen um Paul Wiegert hatten seine Bahnbewegung numerisch zurückverfolgt und dabei festgestellt, dass er sich bereits seit mindestens einer Million Jahre auf seiner Umlaufbahn befinden muss – etwa hundert Mal so lang wie für zeitweilig eingefangene retrograden Asteroiden üblich. Wie er dorthin kam und ob er der Gruppe der Zentauren zuzuordnen ist, blieb damals allerdings offen.
Nun haben die Kommentatoren des Nature-Artikels von 2017, Fathi Naouni und Helena Morais, neue Berechnungen angestellt. Dafür verfolgten sie numerisch die Bewegung von einer Million Asteroiden, deren Bahnen nicht stark von derjenigen von 2015 BZ509 abweichen, und werteten diese Bewegungen statistisch aus. Es ergab sich, dass die Umlaufbahn von 2015 BZ509 tatsächlich so stabil ist, dass er sich dort bereits seit der Entstehung des Sonnensystems zu befinden scheint. Zu diesem frühen Zeitpunkt kann der Asteroid aber nicht aus Material des Sonnensystems entstanden sein, sonst müsste seine Bahn derjenigen der Körper des Asteroiden- oder Kuipergürtels ähneln. Das Fazit der Astronomen ist daher: 2015 BZ509 muss vor 4,5 Milliarden Jahren von unserer Sonne aus dem interstellaren Medium eingefangen worden sein. Damit wäre er der erste bekannte extrasolare Himmelskörper, der sich in unserem Sonnensystem auf einem stabilen Orbit befindet. Im vergangenen Winter war bereits ein anderer extrasolarer Migrant entdeckt worden. Oumuamua, der zigarrenförmige Brocken, der zwischenzeitlich sogar als außerirdisches Raumschiff gehandelt worden war, war der erste eindeutig identifizierte Besucher aus einem anderen Sonnensystem. Anders als 2015 BZ509 war Oumuamua in unserem Sonnensystem aber nur auf Durchreise.
Einen weiteren kosmischen Wanderer, dessen bisherige Reise allerdings ausschließlich innerhalb unseres Sonnensystems verlaufen ist, haben Astronomen in den Außenbezirken unseres Sonnensystems entdeckt. Der ungewöhnliche Asteroid war Forschern um Wesley Fraser vom kanadischen Herzberg Institut für Astrophysik ebenfalls bereits 2015 aufgefallen, als sie Objekten im Kuipergürtel beobachteten, einer Region außerhalb der Neptunbahn, die von unzähligen kleinen Himmelskörpern bevölkert wird. Sein mit dem Hubble Weltraumteleskop aufgenommenes Reflexionsspektrum unterschied sich so deutlich von den Spektren der übrigen untersuchten Objekte, dass sich die Forscher entschieden, der Natur des Körpers mithilfe weiterer Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (Eso) auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse dieses Folgeprojekts wurden nun in den „Astrophysical Journal Letters“ veröffentlicht.
Das neue, mit dem VLT aufgenommene Reflexionsspektrum zeigt Signaturen, die typisch für kohlenstoffreiche Asteroiden sind, wie sie im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter vorkommen. Die Astronomen sehen dies als Hinweis darauf, dass der Körper, genannt „2004 EW95“, im Asteroidengürtel gebildet wurde und erst später in die äußeren Regionen des Sonnensystems gelangte. Tatsächlich beinhalten theoretische Modelle der Entwicklung des Sonnensystems eine äußerst turbulente Frühphase, während der die Gasriesen aus dem Inneren des Sonnensystems nach außen wanderten und dabei auch kleinere Körper mittransportierten. Demgemäß sollte ein kleiner Anteil der Objekte des Kuipergürtels kohlenstoffreiche Oberflächen besitzen. Mit 2004 EW95 wurde nun das erste Objekt gefunden, das dieses Szenario bestätigt.