Fahrstuhl in den Weltraum : Die achtmillionste Etage
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Eine mögliche, wenn auch gigantomanische Lösung dieses Problems wäre, das untere Ende des Aufzugs nicht am Boden, sondern als „High Stage One“ bereits in 40 Kilometern Höhe zu bauen. Dafür würde man dann wohl auf die Idee der sogenannten Lofstrom-Loops zurückgreifen, einen Satz Hunderte von Kilometern langer Vakuumröhren, in denen Endlosbänder so schnell laufen, dass ihre Zentrifugalbeschleunigung für eine nach oben gerichtete Kraft sorgt. Der Transport von der Erdoberfläche bis zur „High Stage One“ könnte elektromagnetisch entlang der Vakuumröhren erfolgen.
Einfacher wäre es, tatsächlich am Boden mit dem senkrechten Aufstieg zu beginnen und die Solarflächen während der ersten 40 Kilometer zusammengefaltet in einer schützenden Hülle zu verbergen. Die Energie würde dann während dieser ersten Etappe vom Boden zugeführt werden müssen, entweder doch mit Lasern oder durch ein mit hinaufgezogenes Stromkabel oder – und das wäre die mit Abstand eleganteste Lösung – dadurch, dass man das Seil (oder Band) an der Bodenstation unter Energieaufwand in der erforderlichen Länge aufspult, dann erst den Climber dranhängt und schließlich die Spule wieder loslässt. Dadurch würde die Zentrifugalkraft des Seils und des Gegengewichts den Climber in die Hochatmosphäre ziehen, bis die Sonne die Energieversorgung übernehmen kann.
Fortschritte bei der Materialfrage
Ob dergleichen möglich ist, hängt stark davon ab, welches Material für das Seil oder Band einmal zur Verfügung steht. Und dieser Punkt ist die zweite und alles entscheidende Herausforderung, vor der sich die Space-Elevator-Visionäre gestellt sehen. Denn es gibt bis heute kein Material, das stabil und zugleich leicht genug ist, um damit einen Weltraumaufzug zu bauen. Es geht also um die spezifische Festigkeit, für welche die Weltraumaufzugsforscher eine eigene physikalische Einheit eingeführt und zu Juri Arzutanows Ehren „Megayuri“, kurz MYuri, genannt haben. Ein Megayuri entspricht einem Gigapascal pro Gramm und Kubikzentimeter. Ein weltraumlifttaugliches Band muss es auf mindestens 20 Megayuri bringen, besser wären 50. Stahl ist mit etwas über einem halben Megayuri um bis zu einen Faktor hundert zu schwach, und noch 1975, als Jerome Pearson seine Berechnungen vorlegte, war kein Material auch nur in Sicht, dessen spezifische Festigkeit ausgereicht hätte.
Genau das aber hat sich inzwischen geändert. 1991 entdeckten japanische Wissenschaftler eine Form des Kohlenstoffs, die Jahrzehnte zuvor bereits in Russland beobachtet worden war, ohne dass dies im Westen bekanntwurde: Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die seither intensiv studiert werden, da sie auch elektronisch interessante Eigenschaften haben. Diese Röhrchen sind molekulare Seile mit geradezu phantastischer Stärke. Sie haben die Weltraumlift-Visionen ganz entscheidend beflügelt, insbesondere als im Jahr 2000 bei einzelnen solchen Nanofasern spezifische Festigkeiten jenseits der 20 Megayuri beobachtet wurden. Der bisherige Rekord ist ein zehn Zentimeter langes Kohlenstoff-Nanoröhrchen, bei dem 2011 über 100 Megayuri gemessen wurden.